Zauberlehrling Benko, aber wer sind die Meister?
von Reinhard Göweil
Offiziell ist er ja in keiner Management-Position, der Rene Benko. Faktum ist, dass er sich mit dem damaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz zur damaligen Rettung von kika-Leiner fotografieren ließ und als Retter österreichischer Arbeitsplätze gefeiert wurde. Nur in welcher Funktion? Seine Stiftung ist angeblich Mehrheitseigentümer der Signa Holding GmbH. In Aufsichtsräten und Geschäftsführungen taucht er nicht auf. Die allerdings aufgetauchte Frage, ob Rene Benko nicht „faktischer Geschäftsführer“ seines Immo-Imperiums war und ist, dürfte nun von Gerichten beantwortet werden. Dabei geht es um Haftungen, die auch das beträchtliche Privatvermögen Benkos einschließen würden, nicht nur jene von Signa-Firmen. Das ist im Insolvenz-Fall relevant, da ein von Gericht bestellter Masseverwalter verpflichtet ist, Gläubiger möglichst schadlos zu halten und Geld einzutreiben. Das sind Kreditgeber, Mitarbeiter, Lieferanten.
EZB streute Sand ins Getriebe
Vielleicht – wir wissen es nicht – ist dies auch eine zusätzliche Motivation für Rene Benko, die Kontrolle über die von ihm gegründete und in lichte Höhen geführte Signa-Gruppe zu behalten. Denn die Signa wird nicht über das private Vermögen von Benko finanziert, sondern von Dutzenden Investoren und kreditgebenden Banken. Von 15 Milliarden Euro ist in den Medien die Rede. Signa selbst beziffert den Wert all seiner Immo- und Grundstücks-Anlagen auf 27 Milliarden Euro, „zusätzlich“ – wie es von Signa heißt – kommen 25 Milliarden Euro im sogenannten Residualwertverfahren. Ersteres ist eine Bewertungsfrage bestehender Substanz, zweiteres ist eine Wette auf die Zukunft: Wenn ein Projekt umgesetzt wird, könnte es danach diesen Verkaufswert erhalten. Viel Konjunktiv überall, wie bei Immobilien-Projekten leider üblich.
Nachdem die Europäische Zentralbank in einem ungewöhnlichen Schritt die Großbanken im Euroraum aufgefordert hatte, ihr Signa-Engagement zu melden, traten die erst einmal auf die Bremse. Das reduziert den Konjunktiv.
Denn dieselbe EZB erhöhte seit 2022 den Leitzins von 0,5 auf 4,5 Prozent, um die Inflation zu bekämpfen. Der Immobiliensektor gehört bei solchen Entwicklungen stets zu den Leidtragenden, vor allem, weil er über Jahre hinweg im Nullzinsen-Paradies Äpfel vom Baum pflückte. Benko tat dies mit seiner Signa auch. Seine ersten Investoren, die Familie Kowarik (Stroh-Tankstellen) und der griechische Reeder Economou, der zirka um 2009 einstieg, wurden vollkommen abgeschichtet und machten satte Gewinne mit der Signa. Das Immobilien-Wunderkind Benko hatte fortan kein Problem mehr, Investoren für seine immer größeren Projekte zu finden: Der Ex-Porsche-Chef, die Vermögensverwaltung der Familie Peugeot, die Bayerische Versorgungskammer, die Haselsteiner-Stiftung, der „Fressnapf“-Gründer, der Logistik-Unternehmer Kühne und viele Politiker und einflussreiche Geschäftsleute in Österreich und Deutschland. Sogar die Hypo Vorarlberg naschte mit 200 Millionen mit, das ist mehr als das Jahresergebnis der Bank ausmacht.
Sie alle wollten am Erfolg Benkos partizipieren, der sich zunehmend auf Top-Lagen und Top-Namen in Österreich, Schweiz, Deutschland, Frankreich, Italien, USA, fokussierte. Banken standen für Kredite jederzeit zur Verfügung. „Investoren wollen Rendite und Signa liefert diese Rendite“, sagte Aufsichtsrat Alfred Gusenbauer noch 2022.
Dann kam die enorme Zinswende, und der jährliche Wertzuwachs der Immobilien ließ sich nicht mehr fortschreiben, weil Erwartungen einbrachen und Mietzahlungen nicht mithalten konnten. Nun stehen Baustellen in besten Lagen still, Bürgermeister in Hamburg und München sind hochalarmiert und alle Banken sowieso.
Für Investoren gilt mittlerweile wie bei Goethe: Die Meister schlagen zurück und drehten dem Zauberlehrling das Wasser ab. Hans Peter Haselsteiner, als Strabag-Großaktionär einer der reichsten Europäer, begann: Benko solle seine Anteils- und Stimmrechte an einen von ihnen ausgesuchten Sanierungsexperten aus Deutschland übertragen. Benko akzeptiert den Sanierer, aber die mehrheitlichen Stimmrechte in der Signa Holding GmbH. gab er nicht auf. Vielmehr versuchte er selbst, Kapital aufzustellen, um die aus Krediten und abreifenden Anleihen notwendigen Zahlungen leisten zu können. Bis Ende 2024 wird eine Summe von 2,1 Milliarden Euro genannt. Ob er die horrenden Zinsen für solches Risikokapital, leisten kann, ist unbekannt. Mit der Insolvenz der Signa Holding gewinnt er immerhin Zeit, weil Rückzahlungen auf hold gestellt sind. Welche Rolle genau die kreditgebenden Banken spielen ist derzeit noch unbekannt. RBI, Unicredit, BayernLB, Julius Bär, Hypos zittern jedenfalls.
Viele naschten an Benkos‘ Erfolg mit
Bei der bevorstehenden Sanierung von Signa geht es also um die Machtfrage: Wer wird bei Signa in Zukunft das Sagen haben? Die Entwicklung der vergangenen Wochen jedenfalls lassen darauf schließen, dass Rene Benko – wie immer man zu ihm steht – nicht gewillt ist, still zur Seite zu treten. Als David gegen Goliath eignet sich der 46jährige Benko freilich nicht, denn er hat bei kika-Leiner und in Deutschland bei Galeria-Karstadt Tausende Mitarbeiter im Regen stehen lassen und üppig öffentliche Mittel in Empfang genommen, während Signa an damit verbundenen Immobilien-Geschäften verdiente. Macht korrumpiert, und in kurzer Zeit erworbene Macht noch stärker. Dazu gehört auch seine Beteiligung bei „Kronen Zeitung“ und „Kurier“, die schwerlich mit strategischen oder Rendite-Überlegungen in Einklang zu bringen ist. Es ging hier wohl eher um Machtfragen, die seine vielen Ex-Politiker im engsten Umfeld interessierten.
Im Machtkampf um die reichlich kurios organisierte, weil um Rene Benkos‘ Stiftung oszilliernde Firmengruppe versuchen nun alle, eine möglichst große Distanz zu Benko zu dokumentieren. Großinvestoren dürften ihr tatsächlich eingesetztes Kapital entweder bereits verdient haben oder einen Großteil davon. Für sie wären Verwertungserlöse der Schnittlauch aufs Butterbrot.
Versicherungen ist es egal, da sie nicht täglich neu bewerten müssen, sondern Immobilien in andere Fonds einbringen könnten, ohne die Bilanz zu beschädigen. Aufgrund der zersiedelten Struktur der Signa-Projekte ist dies meist nur mit Einverständnis der Banken und Pfandgläubiger zu erreichen, was immense Zeit in Anspruch nimmt, denn deren Vertragspartner sind Unternehmen, die von Benko kontrolliert werden.
Wer bewertet die Aktien von Signa?
Eine wesentliche Aufgabe zur Lösung des Dilemmas dabei fällt – rein rechtlich – den Aufsichtsräten der Signa Prime und der Signa Development zu. Beides sind Aktiengesellschaften und deren Aufsichtsräte können als Schuldner haftbar gemacht werden. Vorsitzender in beiden Gesellschaften ist Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer, aber auch die Ex-Banker Karl Sevelda, Karl Samstag und Wüstenrot-Chefin Susanne Riess-Hahn sowie Ex-Casinos-Chef Karl Stoss finden sich auf dieser Liste.
Etliche dieser Personen sind auch Aktionäre. Die Aktien dieser Gesellschaften sind zwar nirgends gelistet, haben aber trotzdem einen Preis. Da die Signa AGs‘ mehrere Aktionäre haben, brauchen die irgendeinen Anhaltspunkt – und erhalten auch Dividenden dafür. Dass Benko so ein illustre Schar an europäischen Superreichen darin scharen konnte, lag auch an der attraktiven Preisentwicklung der Aktie und der Dividenden. Die stammen freilich vom Unternehmen selbst. An Dividenden seien zwischen sechs und acht Prozent ausgeschüttet worden, so Insider. Haselsteiner & Co. verdienten also bisher sehr gut an ihren Engagements. Vielleicht ein Grund, bisher nicht so genau hinzuschauen.
Allerdings scheinen Aufwertungsgewinne nicht in Gewinnrücklagen, sprich Eigenkapital geflossen zu sein, sondern wurden ausgeschüttet. Geld, das jetzt fehlt.
Den Preis der Aktie bestimmt im wesentlichen – so Insider – eine „net value asset“-Berechnung der jeweiligen Immobilien. Diese Bewertung wurde von Signa selbst jährlich beauftragt, weil es keine Börse für die Aktie gibt. Über Put- und Call-Optionen wurde gehandelt, je nach Zeitpunkt des Ein- und des Ausstiegs. Es sollen sich nicht nur Manager der Signa unter diesen Aktionären finden, sondern auch bekannte Personen aus Politik und Wirtschaft. Sie verdienten an dem System bisher prächtig.
Beispiele Niki Lauda, Roland Berger
Beispiel Niki Lauda: Er stieg über seine Lauda Privatstiftung bei Signa ein und streute 2018 in einem Interview mit „Capital“ Rene Benko Rosen. Seine Rendite bezifferte er „als deutlich zweistellig. Alles, was Rene Benko zugesagt hat, hat er übertroffen.“ Er sprach von Dividenden und Wertsteigerungen der Anteile. Niki Lauda, als Formel-1-Weltmeister von Ferrari in Italien immer noch eine Ikone, machte Benko 2016 beim Großprojekt in der Innenstadt Bozen das Testimonial, da es Widerstand in der Bevölkerung gegen das große Bauprojekt gab. Nach dem Tod Niki Laudas 2019 schichtete die Lauda-Privatstiftung die Anteile ab, es soll dabei um zirka 40 Millionen gegangen sein, wie Insider berichten. Das soll allerdings gedauert haben, wie den „finanznachrichten“ unter Zusicherung der Anonymität erzählt wurde. Es ging hier immerhin um den Ersatz von Eigenkapital der Signa-Leitgesellschaften. 2020 vermeldete der Immo-Konzern schließlich eine Kapitalspritze in Höhe von 500 Millionen Euro. Sie wurden von Benkos Trust nahestehenden Unternehmen gezeichnet, die als Treuhänder für die wahren Kapitalgeber auftrat.
Der Unternehmensberater Roland Berger und der US-amerikanische Immo-Investor Madison International Realty zogen diese Aktien-Optionen ebenfalls, um „unter bestimmten Bedingungen“ auszusteigen.
Über diese Vehikel ist bisher wenig bekannt, weil sie eben teilweise über Benkos‘ Treuhandschaft liefen, die wahren Kapitalgeber also bisher nicht aufschienen. Das dürfte sich durch die Insolvenz der Signa Holding GmbH. und vor allem die öffentlichen Diskussionen über Signa nun ändern.
Es geht wohl um die Signa Development
Es zeichnet sich ab, dass der Retail-Bereich von Signa, also die Handelsaktivitäten, komplett aufgegeben und verkauft werden. Das betrifft Online-Händler, die deutsche Kaufhauskette Galeria-Kaufhof-Karstadt sowie Handelskonzerne in der Schweiz (Globus) und England (Selfridges).
In der Signa Prime Selection hat der Verkauf von Objekten ebenfalls begonnen, etwa das Apple-Haus in Wien und Teile des Goldenen Quartier. Das Chrysler-Building in New York City ist ein Spezialfall. Es steht praktisch komplett unter Denkmalschutz, jede bauliche Veränderung ist – so Immoentwickler in den USA – langwierig und teuer. Zudem liege das Gebäude mittlerweile abseits der gefragten Büro-Locations in Manhattan.
In Wien ist die Signa Development AG nach wie vor eine Macht. Wie es bei Entwicklungsprojekten wie etwa dem Werftareal Korneuburg weitergeht, vermag derzeit niemand zu sagen. Denn der Zauberlehrling Benko hat für eine gehörige Überschwemmung gesorgt. „Die ich rief die Geister, werd ich nun nicht los“, dichtete Goethe. Ob die alten Meister Besen wieder in die Ecke stellen können, sei dahingestellt. Denn Rene Benko hat mit seiner Arbeit bisher diese Meister sehr gut verdienen lassen. Mit einem Zauberspruch wird es also nicht getan sein, auch wenn sich die Meister den Gesellen Erhard Grossnig, ein bekannter und erfolgreicher Sanierer, in den Signa-Vorstand geholt haben. Wohl um auf Benko aufzupassen.
Anm.: Die am 1. Dezember verfasste Analyse wurde am 4. Dezember aktualisiert.