USA: Drogengeld-Wäsche über Wirecard
von Reinhard Göweil
1972 wird die „Bank of Credit and Commerce International“(BCCI) mit Sitz in Luxemburg gegründet. 1991 geht die Bank in einem Mega-Skandal unter, es fehlen mehr als 13 Milliarden Dollar. Geldwäsche, beteiligte Geheimdienste, ein undurchsichtiges Firmengeflecht. Beobachter und Aufsichtsorgane tauften das Kürzel BCCI damals in „Bank of Crooks and Criminals International“ um. Gegründet von einem pakistanischen Banker wurde die BCCI vom damaligen Emir von Abu Dhabi (75 Prozent) und der Bank of America (25 Prozent) mit Kapital ausgestattet. Es soll eine neue internationale Bank entstehen, die ebenso internationale Geschäfte tätigt in den aufstrebenden Volkswirtschaften Asiens, Afrikas und Südamerikas.
Schon bei Gründung gab es Gerüchte, wonach der CIA seine Finger und Geld im Spiel hatte. In den 1980er Jahren hatte BCCI mehr als 150 Niederlassungen in 69 Ländern und war ein wesentlicher Player in damals sehr exotischen Finanzmärkten. Das Gerücht besagte, dass die CIA die BCCI damals nutzte, um die afghanischen Mudschahedin zu unterstützen. Die kämpften gegen den Einmarsch von Sowjettruppen in Afghanistan (1979).
Intransparente Beteiligungen, überteuerte Zukäufe, Geheimdienste und seltsame Partner
Waffen mussten gekauft, Kämpfer bezahlt werden. Mit offiziellem Geld der USA ein undenkbarer Vorgang, selbst im Kalten Krieg. Mit dem aus riskanten Bankgeschäften erzieltem Gewinn sollte eine solche Finanzierung aber abseits aller Kontrollen gelingen. Sollte.
Die Organisation der BCCI förderte jene Intransparenz, die dafür unbedingt notwendig war. So erwarb die BCCI mit dem Kapital aus Abu Dhabi überteuert andere Banken, die niemals in den Konzern integriert wurden. Dazu gab es in Wahrheit zwei BCCI: Eine Holding in Luxemburg, eine andere auf Grand Cayman. Beide Finanzplätze zeichneten zwei Gemeinsamkeiten aus: Steueroase und laxe Aufsichts-Kontrolle. So wucherte BCCI in mehr als 200 Gesellschaften aus, teilweise als Handelsgesellschaften geführt, die nichts voneinander wussten, sowie unterschiedlichen Jurisdiktionen und Bilanzprüfern unterlagen.
BCCI finanzierte Terrorist Abu Nidal
Ob am Ende auch die Bösen im BCCI-Spiel noch einen Überblick hatten, kann bezweifelt werden. Westliche Geheimdienste – nicht nur die CIA – wussten wohl schon früh, was sich da in der BCCI abspielte. Terroristen wie Abu Nidal wurden von der BCCI finanziert, dieser übte auch das Attentat auf den Flughafen Wien 1985 aus, wird für den Mord an Wiens Stadtrat Heinz Nittel 1981 verantwortlich gemacht – und war mit mehr als 100 Anschlägen (darunter auch Synagogen in Paris und der Stadttempel in Wien) eine der gefährlichsten Terrorgruppen dieser Zeit.
1990 reichte es den Briten. Die Notenbank „Bank of England“ beauftragte die Wirtschaftstreuhandgesellschaft PriceWaterhouseCoopers (PwC) mit einer Prüfung der BCCI-Geschäfte. Der Sandstorm-Report genannte Bericht führte schließlich zur Schließung und dem Zusammenbuch der Bank. In einer – von den Briten koordinierten – internationalen Aktion der Notenbanken wurden 1991 in 69 Ländern sämtliche BCCI-Vertretungen geschlossen.
Teile des Sandstorm-Reports sind übrigens bis heute nicht veröffentlicht und unterliegen der Geheimhaltung. Bekannt ist, dass Abu Nidal Waffengeschäfte mit der damaligen DDR machte – wenigstens der britische MI5 und amerikanische Geheimdienst CIA sollen Bescheid gewusst haben.
Endgültig zu bunt wurde es den Europäern, als BCCI massiv in die Geldwäsche von Drogengeschäften einstieg. Zu den Kunden der BCCI zählten damals der panamesische Diktator Noriega, der Waffenhändler Kashoggi, Iraks Diktator Saddam Hussein, der Diktator der Philippinen, Ferdinand Marcos. Der spätere US-Außenminister und damalige Senator John Kerry rollte die sogenannte „Contra-Affäre“ auf, bei der – mit bestem Wissen des CIA – mit dem Geld aus Drogengeschäften in den USA Waffen besorgt worden waren, um das Regime im Iran und die Sandinisten in Nicaragua zu bekämpfen. Von der BCCI kamen offenbar die Konten und dazugehörigen „Zahlungsdienstleistungen“.
Die Schaufenster-Bank war gnadenlos erfolglos
Als offizielle Bank war die BCCI gnadenlos erfolglos, das Schaufenster funktionierte nicht. Erstens bekamen viele seriöse Großbanken sehr früh kalte Füße, was die Refinanzierung der Geschäfte erschwerte. Die Bank of America zog sich als Eigentümer zurück, weil die großen Notenbanken in den USA, Europa und Japan wenig Freude mit der BCCI hatten – auch wenn sie jahrelang zuschauten. Der Emir von Abu Dhabi musste massiv Kapital zuschießen, um die Bank über Wasser zu halten. Als „Gegenleistung“ wurden wesentliche Bankunterlagen ins Golf-Emirat verbracht, und standen europäischen Behörden nicht mehr zur Verfügung.
Die beteiligen Personen in der BCCI (Vorstand und Aufsichtsrat) starben entweder rechtzeitig, kamen mit vergleichsweise geringen Haftstrafen (sieben Jahre) davon, oder wurden bloß von Bankgeschäften auf Lebenszeit ausgeschlossen. Jedenfalls waren am Schluss der BCCI 13 Milliarden Dollar weg, da ist der „Beitrag“ des Emirs von Abu Dhabi nicht mitgerechnet. Ein Jahrhundert-Verbrechen, erstmals in globalem Ausmaß.
Wenig einsichtige Aufsichtsbehörden
Dass etwa eine Million Kunden (vor allem in ärmeren Ländern), die der irrigen Meinung waren, die BCCI sei eine seriöse Bank, ihre Einlagen verloren, gilt als Kolleratal-Schaden. Sie verloren mehr als vier Milliarden Dollar, die von der BCCI für unbesicherte Kredite an Scheinfirmen sowie Spekulationsverluste herangezogen worden waren.
Der pakistanische Gründer der in Luxemburg registrierten BCCI, Agha Hasan Abedi, starb 73jährig als unbescholtener Bürger in Islamabad an einem Herzinfarkt, die Behörden seines Landes lehnten den Auslieferungsantrag der USA bis zuletzt ab. Und der damalige Chef der luxemburgischen Bankenaufsicht, Pierre Jaans, sagte im Juli 1991: „Ich bedauere sehr, dass ich so erfolgreich betrogen worden bin, aber ich befinde mich in guter Gesellschaft.“
Wirecard als „Jahrhundert-Verbrechen“
An dieser Argumentation von Bankenaufsehern und Bilanzprüfern hat sich 20 Jahre später wenig geändert. Der mittlerweile abberufene Chef der deutschen Aufsicht Bafin, Felix Hufeld, äußerte sich nach Zusammenbuch von Wirecard 2020 sinngemäß ähnlich. Der Chef der Prüfungsgesellschaft Ernst & Young Deutschland trat zwar als Geschäftsführer zurück, fühlt sich aber nicht verantwortlich. „Sie sehen mich hier ein bisschen zerknirscht“, so seine eher euphemistische Aussage vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestags.
Interessant ist aber auch, dass sich die Strukturen von „Jahrhundert-Verbrechen“ (diesmal Wirecard im 21. Jahrhundert) wenig geändert haben: Die beaufsichtigte Wirecard Bank AG habe ja nur einen Bruchteil des Wirecard-Konzerns gezeigt. Undurchsichtige Firmenkonstruktionen, angesiedelt auf den Philippinnen, Mauritius und Singapur, gaukelten Vermögenswerte vor, die es so vielleicht nie gab. Sie wurden aber auch bis zur Pleite niemals hinterfragt, geprüft oder beaufsichtigt.
Der frühere Chef des Zahlungsdienstleisters, Markus Braun, sitzt in Untersuchungshaft, sein ehemaliger Vorstandskollege Jan Marsalek flüchtete auf recht abenteuerliche Weise und ist untergetaucht.
Marsalek, Russland-Freund und Geheimdienst-Fan
Rund um Marsalek ranken sich etliche Geheimdienstgerüchte. Neben dem österreichischen Verfassungsschutz ist von östlichen Geheimdiensten die Rede. Faktum ist, dass er seine Flucht recht aufwändig vorbereitete, um Spuren zu verwischen. So gab es gefälschte Reiseunterlagen, die auf die Philippinen weisen. Angeblich ist er aber mit einem Privatjet nach Minsk geflogen und soll sich in Russland aufhalten.
In Deutschland beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss des Bundestages mit dem Skandal des ehemaligen DAX-Konzerns, mit teilweise erstaunlichen Ergebnissen. Dass nun eine Sprecherin des russischen Außenministeriums aus heiterem Himmel zur Causa Marsalek öffentlich Stellung bezog, ist noch erstaunlicher. Reine Betrugsfälle sind in der Regel kein diplomatisches Thema. Russland warnt Deutschland, aus der Marsalek-Flucht eine politische Angelegenheit zu machen.
Dazu stellt sich heraus, dass US-Behörden seit 2018 gegen Wirecard ermitteln. Mittlerweile gab es sogar eine erste Verurteilung eines amerikanischen Wirecard-Partners. Es geht um Geldwäsche aus Geschäften mit Marihuana. So soll Wirecard die „Exportgeschäfte“ mit Drogen mittels erfundener Blumen- und Bio-Läden kaschiert haben. Offiziell wurden Blumen, Kräuter, Tee und Gewürze gehandelt…
Eine amerikanische Investmentbankerin, die gegen die Wirecard-Aktie wettete, sagte vor dem deutschen Untersuchungsausschuss, sie hätte der Bafin ihre Bedenken mitteilen wollen, sei aber nie gehört worden. Mit der hinter unauffälligen Namen steckenden Abrechnung von zahlpflichtigen Pornoseiten verdiente Wirecard schon früh Geld. Dies alles zu einer Zeit, als der Österreicher Markus Braun noch gern gehörter Digitalisierungs-Berater des Bundeskanzlers war.
Desgleichen soll Wirecard mit solch verschleierten Transaktionen Geld, das in den USA bei verbotenen Online-Glückspielen eingesetzt worden war, weitertransportiert und damit offiziell gemacht haben.
Porno, Online-Glückspiel, Drogen
Ein Deutscher namens Oliver H., der in den USA als Mittelsmann für Wirecard fungierte, hat sich der amerikanischen Justiz als Kronzeuge zur Verfügung gestellt. Als „Mastermind“ bei all dem gilt Jan Marsalek. Was Markus Braun davon wusste ist unbekannt, aber dass er als CEO der Gesellschaft so gar nichts mitbekam, wird von den deutschen Ermittlern bezweifelt.
Nun passen solch verschleierte Transaktionen durchaus auch zu geheimdienstlichen Aktivitäten. Marsalek selbst scheint sich selbst als eine Art James Bond gesehen haben, der die Nähe zu Geheimdienstmitarbeitern suchte und fand. Warum sich Russland in dieser Gemengelage öffentlich zur Person Marsalek äußert, erscheint in diesem Licht noch ungewöhnlicher. Was wissen westliche Geheimdienste und was davon der russische? Jenes Russland , dem ohnehin schon vielfaltige Destabilisierungs-Versuche der EU vorgeworfen wird.
Da passt es dazu, dass mittlerweile nicht mehr von „verschwundenen“ 1,9 Milliarden Euro die Rede ist, sondern von weiteren 800 Millionen, deren Verbleib (und damit auch deren Herkunft) geklärt werden soll.
Viel zu teure Zukäufe von kleineren Zahlungsabwicklern liefen demnach über einen Berater namens Henry O’Sullivan, der bei Wirecard unter dem Pseudonym „Corinna Müller“ geführt worden sein soll. Allein dieser Vorgang ist mehr als aufklärungsbedürftig,. Die Frage „cui bono“ steht im Raum, ganz ohne Verschwörungstheorie, sondern bloß aus Erfahrungswerten früherer Skandale.