Diese Website verwendet Cookies, um bestimmte Funktionen zu ermöglichen.
Mit der Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden. Alle Details finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Erstellt am 19.01.2025

Das Rendezvous mit der Realität wird eher ein Zusammenprall

von Reinhard Göweil

6,4 Milliarden Euro werden binnen Jahresfrist eingespart, einfach so, ohne Reformen. Und die Wirtschaftsforscher glauben, dass dies keinen konjunkturellen Absturz bedeuten wird. Das zeigt, wieviel Bauchspeck die Republik angesetzt hat. Der Strategiebericht des Finanzministeriums, der noch auf besseren Konjunkturdaten beruht, weist 2024 Staatsausgaben (Bund, Länder, Gemeinden, Sozialversicherung) von 263 Milliarden Euro aus, die ohne Maßnahmen bis 2027 auf 296 Milliarden Euro ansteigen würden.

Das „Sparpaket“ der FP-VP-Verhandler, das ja auch aus neuen Steuereinnahmen besteht und netto geringer ist, „spart“ also etwa 1,5 Prozent der staatlichen Ausgaben. Das führt wegen der hohen absoluten Zahl zu Besorgnis, aber es ist kein Sparpaket, sondern eine Anpassung. Bei minus 1,5 Prozent ist „Gürtel enger schnallen“ der falsche Vergleich. Von „Kahlschlag“ kann auch keine Rede sein, auch wenn es zum politischen Geschäft der Opposition gehört, diese Maßnahmen zu geißeln.

Von Reformen ist bei FP/VP zumindest derzeit nichts zu sehen. Die müssten aber kommen, denn die Einsparungen 2025 sind nicht das Ende der rot-weiß-roten Fahnenstange. Österreich muss sich neu organisieren, dringend.

Steuergeld statt Reformen

SP und VP unterließen das in der Vergangenheit, vermutlich ein Grund ihrer aktuellen Schwäche. „Brennpunktschulen“, „Pensionsraub“, „OP-Wartezeiten“, „Pflege-Notstand“, „radikal-islamische Parallelgesellschaften“– das sind gibt es alles. Es sind Erfahrungen, die individuell, aber quer durchs Land gemacht werden. Je nach Stadt und Land mit unterschiedlichen Schwerpunkten und sie verschwimmen zum Satz: Es ist was faul im Staat. Für populistische Parteien ist das ein nährstoffreicher Teich, wie Wahlergebnisse belegen.

Alle jetzigen Parteien und deren Wahllisten-handverlesenen Vertreter begnügten sich damit, Fehler in bestehenden Strukturen mit neuen oder versprochenen Milliarden zu beheben. Damit wurden sie potenziert. Ob die FP als neue künftige Kanzlerpartei hier etwas ändert, muss ernsthaft bezweifelt werden. Ihre bisherigen Regierungsbeteiligungen im Bund und aktuell in den Bundesländern legen das empirisch nicht nahe.

Wie groß das Unvermögen der Institutionen und ihrer Verwaltungen mittlerweile ist, zeigt ein vergleichsweise kleines Beispiel: Seit Monaten können sich Gesundheitskasse und Zahnärzte-Kammer nicht darauf einigen, welche Zahnfüllungen das Amalgam auf e-card ersetzen sollen. Nur die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (Beamte, ÖBB) hat eine Einigung dazu. Sind pragmatisierte Zähne mehr wert?

Die Spitzen der Sozialpartner sowie die offizielle Politik schweigen dazu, obwohl alle wissen, dass Amalgam ab 2025 in der EU verboten ist.

Es wäre logisch, wenn alle Abgeordneten in Parlament, Landtagen und Gemeinderäten in ihren Reden aufhören, fehlendes Geld zu beklagen, sondern statt dessen Lösungen zu finden. Und die sind politisch keine Heuler, zugegeben. Es geht darum, aus der selbst erschaffenen Blase auszubrechen. Nicht Kammern, nicht Bünde, nicht Gewerkschaften, nicht oberflächliche Polemik in Partei-Organisationen lösen Probleme, sondern der Wille aller, sich in Frage zu stellen.

Es mag ungerecht sein, aber dazu ein parteiübergreifendes Beispiel, das nicht verunglimpfend oder persönlich gemeint ist: Zu den einflussreichen Politikern unter oder um 30 Jahre gehören Sebastian Schwaighofer (FPÖ), Claudia Plakolm (ÖVP), Eva-Maria Holzleitner (SPÖ), Lena Schilling (Grüne, EU-Abgeordnete). Sie alle argumentieren in öffentlichen Auftritten strikt entlang einer Partei-Linie, die alte weiße Männer sehr viel früher entworfen haben und die in die jetzige Situation geführt haben.

Noch ein altersmäßig fortgeschritteneres Beispiel: Warum haben die Sozialpartner-Präsidenten Harald Mahrer (Wirtschaftskammer) und Renate Anderl (Arbeiterkammer) nicht längst laut und deutlich und sogar gemeinsam gesagt, dass die erwähnte Amalgam-Debatte absolut unwürdig ist und sie eine Lösung binnen einer Woche erwarten? Bei 296 Milliarden Euro Staatsausgaben, von denen 60 Milliarden auf Gesundheit entfallen, sollte dies locker möglich sein.

Blicken wir weiter in der Verwaltung der Republik Österreich. Unternehmen beklagen seit Jahren die Berichtspflichten, die ihnen auferlegt werden und die erhebliche Kosten verursachen. Passiert ist freilich nichts, oftmals wird abstrakt auf die EU verwiesen, die aber oft die Gestaltung dieses Berichtswesen den 27 Mitgliedsländern überlässt. Österreich ist hier – auch aufgrund föderaler Zuständigkeiten – besonders kompliziert, es ist nicht die EU.

Finanzausgleich wurde zur Steuerverschwendung

Kommen wir also zu den wahren Kostenfaktoren: Über den Finanzausgleich fließen jährlich offiziell etwa 45 Milliarden Euro an die Länder (ohne Gemeinden). Über den „grauen Finanzausgleich“, das sind gesetzliche Regelungen, die im Finanzausgleich nicht vorgesehen sind, aber Auswirkungen zwischen Bundes-, Länder- und Gemeindebudgets zeitigen, werden noch einmal so viel bewegt. Mehr als 100 Milliarden Euro schieben in Hunderttausenden Transaktionen Bundesstellen, Bundesländer und Gemeinden an Transferzahlungen herum. Das führt in Ländern zu kuriosen Situationen, etwa dass Gemeinden insgesamt mehr Geld ans Land zahlen als sie von ihm erhalten.

Dabei wäre der Finanzausgleich das Gegenteil: Der Bund hebt Steuern ein und gibt die Einnahmen nach bestimmten Schlüsseln an Länder und Gemeinden weiter. Die finanzieren damit ihre Infrastruktur, vom Kanal bis zum Schulgebäude. Alle fünf Jahre wird der Finanzausgleich zwischen den Körperschaften neu verhandelt. Der ist mittlerweile so verschachtelt und intransparent, dass sich kaum noch jemand auskennt, am allerwenigsten jene Abgeordneten, die ihn gesetzlich beschließen.

Schon 2006 analysierte die Wirtschaftskammer wörtlich:  „Das System des Finanzausgleichs, welches in seinen Grundzügen bereits seit 1948 besteht, zeigt sich als äußerst komplex und intransparent. Wohl aufgrund der Sperrigkeit und dadurch schwierigen medialen Vermittelbarkeit, wird dem Finanzausgleich in der Öffentlichkeit eine bislang viel zu geringe Bedeutung zugemessen.

Die Notwendigkeit einer Reform des Finanzausgleichs ist unumstritten. Die intergovernmentalen Transferbeziehungen sind selbst für Experten kaum überschaubar. Je komplexer das System ausgestaltet ist, desto höher ist die Gefahr von Ineffizienzen. Zudem fehlen den einzelnen Gebietskörperschaften optimale Anreizwirkungen für einen effizienten Mitteleinsatz.“ 2025 ist es noch unüberschaubarer.

Musik und Würstel statt harter Arbeit

Hier für Einfachheit und Effizienz zu sorgen würde mehrere Milliarden Euro entweder einsparen, ohne dass etwas passiert oder diese Mittel für Investitionen bereitstellen – vor allem Gemeinden könnten derzeit Investitionsprogramme gut gebrauchen.

Während sich also die Regierungsverhandler von FP/VP begnügen, 2025 stolze 120 Millionen Euro „einzusparen“, weil diese Gelder im ÖBB-Rahmenplan gar nicht abgerufen werden und aus einer Gebührenerhöhung für Dokumente (Reisepass, Führerschein) 65 Millionen holen, bleiben die großen Projekte in der Schublade.

Warum ist das so? Weil es für Politiker attraktiver ist, den Zubau eines Kindergartens mit Musik und Würstel zu eröffnen und das als Leistungsnachweis zu verkaufen. Politiker, die sich in ihrem Büro in den Finanzausgleich einarbeiten und dabei sogar an Kettensägen denken, gibt es kaum.

Ähnliches gilt für die Spitalsfinanzierung. Hier haben die Länder Hoheit und deren Denken endet immer noch an der Landesgrenze. Dass daneben noch ein Wirrwarr aus Zuwendungen der Sozialversicherungen, Bundesagenturen sowie dem Wissenschaftsministerium (medizinische Fakultäten) die Finanzierung sichert, sorgt auch hier für enormen Verwaltungsaufwand und unklaren Verantwortlichkeiten.

Bei der Pflege gibt es mittlerweile neun verschiedene Systeme. Wer in Enns (OÖ) zum Pflegefall wird, wird anders behandelt als in Ennsdorf (NÖ), obwohl nur der gleichnamige Fluss die beiden Orte trennt. Es ist nicht notwendig, das zu verstehen, noch weniger es zu akzeptieren.

Bei den Schulen gibt es noch undurchschaubarere Kompetenzen, die Länder, Bund und Gemeinden zwar jeweils haben. Im Ernstfall wird damit Verantwortung zwischen den Funktionären der drei Körperschaften hin- und hergeschoben. Ratlos hinterbleibt das zahlende Publikum, das 25 Milliarden Euro in ein Bildungssystem investiert, mit dem immer weniger zufrieden sind.

Ungerechtes Pensions-System

Bei den Pensionen sind die öffentlich Bediensteten das wahre Problem. Der Zuschuss des Budgets für „Beamtenpensionen“ macht 14 Milliarden Euro aus, der Zuschuss für die viel häufigeren ASVG-Pensionen liegt sogar darunter. Warum ist das so? Neben großzügigen Ruhestandsregelungen (ein Beamter erhält durchschnittlich mehr als 3000 Euro Pension im Monat) bezahlen die öffentliche Hände für ihre aktiven Beamten keinen monatlichen Arbeitgeber-Beitrag. So wird auch nix angespart und am Ende kommt es dick im Budget. Was können Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Pensionisten im nicht-geschützten Sektor dafür? Nix. Sollen sie also mitzahlen? Nein.

Hier muss es in Zukunft ein Korrektiv geben, um die vielen Arbeitnehmer im nicht-geschützten Sektor zu entlasten. Solidarität wird das genannt.

Unbestritten ist, dass das faktische Pensionsalter dem gesetzlichen (65) angeglichen werden muss. Dazwischen klaffen drei Jahre. Ein wesentlicher Bestandteil dabei entfällt auf die Sozialpartner: Unternehmen müssen selbst innovative Instrumente entwickeln, um ältere Arbeitnehmer in Stand zu halten. Das benötigt auch kollektivvertragliche Regelungen, denn ohne die Betriebsräte und Gewerkschaften wird das nicht funktionieren.

Erfolgreiche Politiker jeglicher Partei und Kammern müssten also auch hier jenseits der öffentlichen Wahrnehmung wirken und auf Dogmen verzichten, die zunehmend Ideologie ersetzen.  

Das sind lauter unsichtbare und undankbare Aufgaben, aber nur wenn die Politik die Republik viel einfacher ordnet und damit auch die Verwaltung neu gestaltet, wird sich etwas zum Besseren wenden.

Ehrlich regieren passt nicht zu Populismus

Nehmen wir als weiteres Beispiel Schulen: Gemäß Statistik Austria gibt es in Österreich in den 5700 Schulen (ohne Universitäten) 1,2 Millionen Schülerinnen und Schüler und 127.000 Lehrer. Das ist eine Relation von knapp 1:10. Trotzdem sitzen in den Klassen 25 und mehr Kinder und Jugendliche vor einer Lehrperson. Selbst wenn man die knapp 300 Sonderschulen berücksichtigt, in denen viel kleinere Gruppen arbeiten, bleibt ein Delta. Wo sind diese Lehrer?

Es wäre eine schöne Aufgabe für Politiker, Lehrer auch dorthin zu bringen, wofür sie sich ausbilden ließen: Kinder und Jugendliche zu unterrichten. Eltern wären dankbar, die Schulen ebenso. 

Aber das sind undankbare Aufgaben, da müssen Strukturen aufgerissen werden, in denen sich jedes Bundesland und die jeweiligen Regierungsparteien (plus der ihnen nahestehende Verbände) gemütlich eingerichtet haben.

Die FPÖ erzielt Wahlerfolge, weil sie die komplexen, teilweise abstrusen Fehl-Allokationen als „System der Altparteien“ richtig beschreibt. Viele Bürger denken an ihre negativen Erfahrungen und sagen: Jawoll! Nur auf ein System zu schimpfen ist aber simpel und ändert nichts.

In Oberösterreich, Niederösterreich, Salzburg, Vorarlberg und der Steiermark sitzt die FPÖ in den Landesregierungen, wegen Proporz auch in Wien. Wird eine solche Partei das aus den Fugen geratene föderale System verlassen? Die Chancen sind gering, dort haben es sich auch in der FPÖ viele Funktionäre gemütlich eingerichtet. Ein Landtags-Abgeordneter verdient (ohne andere Einkünfte) mehr als 7000 Euro im Monat.

„Österreich ehrlich regieren“ lautet der Slogan von Herbert Kickl. Über diese Ehrlichkeit wird zu diskutieren sein, wenn es ab 2026 beim Budget ans Eingemachte geht. Der leider verstorbene Hannes Androsch hat einmal sinngemäß gesagt, das Budget ist in Zahlen gegossene Politik. Ein „Rendezvous mit der Realität“ wird daher nicht reichen, wenn diese als unveränderlich hingenommen wird. Die Organisation der Republik muss verändert werden, sonst wird es kein Rendezvous, sondern ein Zusammenprall.

 

(Artikel aktualisiert am 3.2.2025 um 11.03 Uhr)