Medienpolitik auf österreichisch
von Reinhard Göweil
1703 erschien erstmals das „Wiennerische Diarium“. Es ging um Berichte, zum Beispiel, welche Handelsschiffe im damals zur Habsburger-Monarchie gehörenden Hafen Triest angelegt haben. Das war für viele Menschen in und um der damaligen Reichshauptstadt Wien eine wichtige Information, die Waren-Preise und die Bonität von Unternehmen beeinflusste.
319 Jahre später soll die älteste Tageszeitung zu einem Online-Medium werden, das wenigstens zehnmal pro Jahr gedruckt erscheint und Ausbildung anbieten soll. Warum Medien ihre Jung-Journalisten zur Weiterbildung in die Wiener Zeitung schicken sollen, erschließt sich aufs erste nicht. Das Geschäftsmodell dahinter muss man daher nicht verstehen. Es geht wohl eher von der Prämisse aus, die üppig vorhandenen Rücklagen der Zeitung mittels verringerter Betriebskosten so lange zu strecken, dass diese Legislaturperiode gerade noch „geschafft“ wird.
Der Mut, die Zeitung zu verkaufen, fehlt und er hat immer gefehlt. Wenn ehemalige Bundeskanzler und führende Sozialpartner den Erhalt der „Wiener Zeitung“ fordern, sollten sie sich fragen, was sie eigentlich getan haben, um deren Erhalt zu sichern.
Dass die Pflichtveröffentlichungen laut Firmenbuch und die Jahresabschlüsse großer Unternehmen – oftmals in geringer Qualität – im Amtsblatt gedruckt werden, wurde seit mehr als zehn Jahren als veraltet kritisiert. Mit Recht.
Der Eigentümer, die Republik im Gewand des Bundeskanzleramtes, kümmerte sich darum wenig. Denn er hatte kein Risiko. Die Einnahmen kamen kraft Gesetz von den Unternehmen, die – einer Abgabe gleich – die Rechnung an das Amtsblatt zu zahlen hatten.
Diese toxische Mischung wird nun letal. Gemäß EU-Vorgaben fallen Ende 2022 die Pflichtveröffentlchungen weg, das ist seit Jahren bekannt und keine Überraschung. Im Herbst 2021 nun diese „Lösung“ zu präsentieren, beweist, dass die öffentliche Hand als Eigentümer ungeeignet ist. Es gab in den vergangenen Jahren in der Wiener Zeitung GmbH. vielerlei Strategie-Überlegungen, die – das muss ehrlicherweise gesagt werden – ineffizient blieben. Die garantierten Einnahmen erwiesen sich als Faulbett. Üppig vorhandene Daten über die Unternehmen in Österreich wurden mangelhaft gepflegt, Marktorientierung musste das Amtsblatt nie entwickeln. Private Anbieter wie „FirmenABC“, der Kreditschutzverband 1870 oder Anbieter für öffentliche Ausschreibungen besetzten einen Daten-Markt, dem das Amtsblatt hinterher lief. Das ist eine Frage, die sich kritisch die diversen Geschäftsführer und Aufsichtsräte der Wiener Zeitung stellen könnten. Auch die Redaktion hätte sich früher und klar äußern können und nicht erst jetzt, weil das Wasser bis zum Hals steht.
Auf Eigentümerseite Bundeskanzleramt war es dem „Amtsblatt“ nicht einmal möglich, einen Schulterschluss mit Ministerien, geschweige denn Ländern und Städten zu erreichen – mangels Kommunikation zwischen Geschäftsführung und Eigentümer. Was ein „digitales Schwarzes Brett der Republik“ (O-Ton Ministerin Susanne Raab) tun soll, bleibt ebenso offen.
Mit der Zeitung selbst hatte dies alles inhaltlich wenig zu tun, die Redaktion wurde bisher aus dem Amtsblatt-Pool gespeist, der fällt nun weg. Punkt.
Nun gibt es also eine österreichische Lösung: Die Wiener Zeitung soll online aktuell sein, aber gedruckt bestenfalls monatlich erscheinen. „Wenn es sich die Zeitung leisten kann, öfters zu erscheinen, auch darüber hinaus“, so das Credo der Regierung. Der Satz alleine zeigt die Ahnungslosigkeit des staatlichen Eigentümer.
Ob das vom dem aus der Industriellenvereinigung kommenden Ökonomen Christian Helmenstein (mit Unterstützung des amtierenden Chefredakteurs) angedachte Konzept nachhaltig ist, ist kaum einzuschätzen. Es gäbe auch andere Interessenten.
Faktum bleibt dabei aber, dass die politisch Verantwortlichen mit der nunmehrigen Idee den nächsten Fehler machen: Die Wiener Zeitung nicht zu verkaufen. Ein Eigentümer, der mit eigenem Geld investiert ist, wird anders agieren und auf keinen Fall schlechter. Denn die getroffene Lösung soll die Regierung bloß über die nächste Nationalratswahl hinweghelfen. Für die Redaktion der Wiener Zeitung, die deutlich weniger als die Hälfte der 180 Mitarbeiter des Verlages ausmacht, ein schwacher Trost.
Dass die anderen Zeitungen von diesem Wegfall keinerlei Nutzen ziehen, ist denen mittlerweile ebenfalls klar.
Und für den ungleich größeren ORF (eine Milliarde Umsatz vs. 23 Millionen) sind dies alles schlechte Nachrichten, denn auch bei ihm hat die Politik das Sagen, finanziell ebenso zu Lasten Dritter, den GIS-Gebührenzahlern.
PS.: Dass die Medienförderung umgebaut wird, ist eine um 20 Millionen Euro bessere Lösung als die bisherige. Das neue Medien-Transparenzgesetz ist – wie von der zuständigen Ministerin Susanne Raab gesagt wurde – ein Lückenschluss. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Der neue Dokumentationsaufwand für öffentliche Stellen wird deren Inseraten-Volumen reduzieren, vermutlich zu Lasten der kleinen Medien und Fachzeitschriften.
Anmerkung: Der Autor war von 2009 bis 2017 Chefredakteur der Wiener Zeitung.