Medien, Macht und keine Strategie
von Reinhard Göweil
Wenn eine alte, wahrscheinlich die älteste, Tageszeitung der Welt eingestellt wird ist Wut und Trauer groß. Die Wut sucht nach Schuldigen und die sind mit der ÖVP/Grüne-Regierung gefunden, namentlich die Ministerin Susanne Raab und die grüne Abgeordnete Eva Blimlinger. Beide haben sich auch in öffentliche Äußerungen zur „Wiener Zeitung“ nicht gerade als sattelfest erwiesen. Nun hatte ich die Ehre, der „Wiener Zeitung“ von 2009 bis 2017 als Chefredakteur anzugehören. Daher erlaube ich mir, den Kreis der Verantwortlichen zu erweitern. Denn es war – wie öfters in Österreich – ein lange andauerndes Staatsversagen nach dem Motto „viele sind zuständig, aber niemand ist verantwortlich.“
Dazu muss ein Blick auf die Finanzierung der „Wiener Zeitung“ geworfen werden. Die Republik Österreich in Gestalt des Bundeskanzleramtes fungiert als Eigentümer und Herausgeber. Im Zuge der Privatisierung der Staatsdruckerei 1999 wurden Amtsblatt und Zeitung als GesmbH. in staatlicher Hand behalten. Dafür verzichtete die Republik auf Gewinnausschüttungen aus dem Amtsblatt. Im Klartext: Der Eigentümer Staat hat in die Zeitung nie auch nur einen Cent investiert, die heute durchaus üppigen Rücklagen entstanden aus den Einnahmen des „Amtsblattes“. Regierungen, Bundesländer und Kammern haben mittels Inserate Hunderte Millionen an Betriebsmittel an Boulevardmedien ausgeschüttet und so deren Geschäftsmodell gesichert. Für die „Wiener Zeitung“ reichte es nicht einmal für Eigenkapital.
Bezahlt wurde alles vielmehr von den österreichischen Unternehmen. Die Pflichtveröffentlichung von Firmenänderungen, Bilanzhinterlegungen sowie bei großen Aktiengesellschaften der Jahresbilanz ließen die Kasse klingeln. Es reichte von 70 Euro für kleine Änderungen (etwa Geschäftsführerwechsel) bis zu mehreren Tausend Euro für Bilanzveröffentlichungen großer Unternehmen wie Verbund und ÖBB.
Die Wirtschaftskammer hatte mit den „Zwangsveröffentlichungen“, wie sie es nannte, wenig Freude. Nach dem EU-Beitritt Österreichs griff auch deren Beihilfenrecht, wenngleich mit sehr langen Übergangsfristen. Es ist dem früheren Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl zu danken, dass er in den 2010er-Jahren Gespräche mit dem Bundeskanzleramt anregte, um rechtzeitig eine neue Finanzierungslösung zu finden. „Ich will die Zeitung nicht umbringen, aber das Amtsblatt ist antiquiert und hat so seinen Sinn verloren“, sagte mir Leitl damals. Es folgte ein Gespräch mit dem damals von Faymann/Ostermayer regierten Bundeskanzleramt. Stiftungslösungen, eine breitere Eigentümerstruktur, die finanzielle Beteiligung der Wirtschaftskammer daran – alles lag am Tisch. Ergebnis: Null.
Hohe Beamte des Kanzleramtes, die als Hauptversammlung der WZ GmbH. agierten, hatten für die strategische Entwicklung der „Wiener Zeitung“ weder Auftrag noch Interesse. Das änderte sich unter Kern/Drozda kaum. Zwar veränderten die den Aufsichtsrat, aber der Aufsichtsrat einer GesmbH ist – im Gegensatz zur Aktiengesellschaft – schmückendes Beiwerk, die Entscheidung trifft der Eigentümer. Wer wird Geschäftsführer? Wer wird Chefredakteur? Wird der Verkaufspreis geändert? Soll die Zeitung mehr Geld in Vertrieb, Marketing und Auflagenerhöhung investieren? Darf eine Beteiligung eingegangen werden? Alle wesentlichen Entscheidungen oblagen dem Bundeskanzleramt und das Amt entschied nichts.
Unter Kurz/Blümel wurde der Aufsichtsrat und der Geschäftsführer wieder schwarz/türkis, sonst tat sich nichts. Die Idee, aus einer neu strukturierten „Wiener Zeitung“ einen Nukleus für kleinere Qualitätsmedien zu machen, gibt es seit Jahren. Die Eigentümerstruktur zu erweitern ebenso. Regierungspolitiker wollten sich aber nie mit dem mächtigen VÖZ anlegen. „Nur kane Wö’n“, lautete die Parole. Dieser Wellen vermeidende, politische Eigentümer erfreute sich an der bloßen Tatsache, Aufsichtsrat, Geschäftsführer und Chefredakteur bestellen zu können: Machtpolitik ersetzt Strategie. Das Credo setzten Raab und Blimlinger nahtlos fort, und es gilt wohl auch für das neue ORF-Gesetz.
Anmerkung: Auch ich wurde ohne Ausschreibung und Hearing zum Chefredakteur bestellt. Freilich war ich es auch, der ein Redaktionsstatut dem Eigentümer gegenüber befürwortete. Bei beiden Themen handelte es sich beim Eigentümervertreter um Josef Ostermayer.
Der zweite Grund des Scheiterns der „Wiener Zeitung“ liegt an ihr selbst. Es gelang nie, Amtsblatt und Redaktion zu einer gemeinsamen Unternehmenskultur zu verpflichten. Es gab schlicht und ergreifend keine ordnende Hand, dazu waren die jeweiligen Zuständigkeiten zu diffus. Für die einen war die Zeitung ein brutaler Kostenfaktor, für die anderen war das Amtsblatt stetes Innovationshemmnis.
Es stimmt beides, aber es gelang leider nie, aus dieser Struktur ein gutes Ganzes zu machen, auch weil der Eigentümer Republik sich nicht darum kümmerte. Man stelle sich vor, Oscar Bronner hätte bei der Gründung des „Standard“ zum gesamten Team gesagt: Macht was ihr wollt, mir ist es wurscht.
Die Politik agierte bei der „Wiener Zeitung“ über Jahrzehnte gleich, quer über alle Parteien. Allerdings hat die Republik – im Gegensatz zu Herrn Bronner – niemals auch nur einen Cent in sein Eigentum investiert. Trotzdem hat sie jegliche Expansion verhindert. Nun die geringe Auflage als Begründung für deren Ende zu bemühen, ist armselig. Zuletzt verweigerte sie sogar den Verkauf.
So beschreibt das Beispiel „Wiener Zeitung“ gleichermaßen österreichische Medienpolitik und Defizite eines öffentlichen Eigentümers. Das ist freilich nicht armselig, das ist beängstigend.