KOMMENTAR: Schulärzte – noch ein Beispiel für Staatsversagen
von Reinhard Göweil
Das heimische Bildungssystem ist ein Fleckerlteppich an Zuständigkeiten, an dem Bund, Länder und Gemeinden ihre jeweiligen Stoffreste ohne Ziel und gemeinsamen Design weben. So schaut das Bildungssystem auch aus: schiach.
Bei den Schulärzten ist es nicht anders, das dahinter liegende System offenbart in der Corona-Pandemie erschreckende Mängel, die jahrelang die Behörden nicht wirklich aufregte. Der Herr Bundesminister Heinz Fassmann, der auch Wissenschaftsminister ist, nimmt diese Mängel eher dogmatisch zur Kenntnis.
Er bot nun den Landeshauptleuten die Bundesschulärzte zur Unterstützung bei der Impfung an. Das ist großzügig, zeugt aber auch von einem gehörigen Mangel an Detailwissen dazu. Denn wie überall gibt es unterschiedliche Zuständigkeiten, die zudem mit den Gesundheitsbehörden oder der Sozialversicherung so gut wie gar nicht vernetzt sind. Für Bundesschulen wie die AHS gibt es einen bundeseinheitlichen Vertrag für Schulärzte. Sie erhalten – grosso modo – eine 20-Stunden-Verpflichtung für Schulen in ihrer Umgebung. Die Bezahlung ist bescheiden, sie liegt bei knapp über 1000 Euro netto. Das Problem dabei: Mit dieser Verpflichtung ist es solchen Ärzten praktisch unmöglich, einen Kassenvertrag der Sozialversicherungen zu erhalten, da letztere auch tagsüber Ordinationszeiten vorschreiben, also genau zu der Zeit, in der Schüler in der Schule anzutreffen sind.
Das dazugehörige Bundesgesetz, das Schulunterrichtsgesetz, spricht eine klare Sprache. Diese Ärzte hätten sogar für „epidemiologisch relevante Daten“ zu sorgen.
Der Teufel steckt dann im Verordnungs-Detail. Es wird immer schwieriger, Schulärzte zu finden, wie auch die Ärztekammer, die ein eigenes Referat dafür hat, bestätigt. Das reicht von der Bezahlung bis zu offenen Haftungsfragen.
Bei Pflichtschulen wird es noch schlimmer. Für Volksschule, NMS/Hauptschule, Polytechnikum und Berufsschulen sind die Länder bzw. Gemeinden zuständig. Die haben sich ihre Verordnungen selbst geschnitzt, mit unterschiedlichen Ergebnissen: Wien entlohnt die Schulärzte (je nach Stundenanzahl) nach dem Lohnschema von Gemeindebediensteten. Andere Bundesländer bieten Werkverträge mit geringem finanziellen Anreiz.
Das führte dazu, dass es in 76 Pflichtschulen in Salzburg mittlerweile keine Schulärzte mehr gibt, die eigentlich gesetzliche Verantwortung wird den Eltern übergeben.
Der Gemeindebund fordert seit mindestens 2019 eine Reform des Schularzt-Wesens, das ging an der heimischen Bürokratie eher spurlos vorbei.
Das führt unter anderem dazu, dass es für Kinder- und Jugend-Gesundheit in Österreich lediglich Hochrechnungen und Schätzungen gibt, aber keinerlei valide Daten. Auch dieser statistische Blindflug regte in den vergangenen Jahren weder Bundes- noch Landes-Bürokratien sonderlich auf, deren politische Vorgesetzte in Form von Ministern und Landesräten auch nicht.
Ein zersplittertes, unübersichtliches Schularzt-Wesen soll nun also bei der Pandemie-Bekämpfung helfen. Das wird teilweise funktionieren, weil es Mediziner geben wird, die in einer informellen, auf persönlichen Kontakten beruhenden Organisationsform, das beste aus der Sache machen.
Das klingt nicht nur ein bisschen anarchistisch, das ist es auch.
Und es stellt sich erneut die Frage: Österreichs Verwaltung ist – mit Ausnahme der geldeintreibenden Finanzämter – das Gegenteil von gut organisiert. Dafür kostet sie zuviel Geld.
Wenn also nun der Herr Bildungsminister gönnerhaft den Ländern Unterstützung zusagt, dann weiß er entweder nicht Bescheid, oder er macht es bewusst zu Lasten der Schulen und der Mediziner.
Weil es dazu passt, die Stellungnahme des Bildungsvolksbegehrens zur aktuellen Schule-Corona-Situation, verfasst von Dr. Hannes Androsch:
Chaos an Österreichs Schulen
„Am vergangenen Freitag hat der Bildungsminister im Zusammenhang mit dem neuerlichen Lockdown kurz zusammengefasst verkündet: Die Schulen sind offen und sie sind nicht offen. Eltern und Jugendlichen bleibt die Entscheidung überlassen, ob sie ihre Kinder in die Schule schicken wollen bzw. ob sie die Schule während des Lockdowns besuchen werden. Mit einem riesigen Interpretationsspielraum für die Schulen, Direktor*innen, Lehrer*innen, Eltern und Schüler*innen. Kann/darf/soll Distance Learning angeboten werden, wenn sich die Mehrheit einer Klasse in der Oberstufe dafür entscheidet, nicht in die Schule zu kommen? Wie können Kinder am Unterricht teilnehmen, wenn sich die Eltern gegen den Schulbesuch entscheiden? Wird das von manchen Lehrer*innen als Faulheit, Ausrede etc. interpretiert? Dürfen/sollen Prüfungen und Tests stattfinden? Neuer Unterrichtsstoff vermittelt werden?
Seit Monaten wird gegen besseres Wissen die Schule als „sicherer Ort“ kommuniziert. Die Infektionszahlen unter den bis 12-Jährigen steigen massiv. Für die älteren Schüler*innen gab es keine organisierten Impfkampagnen oder Anreize. Es gibt keine Notfallpläne für die Schulen. Die Erkenntnisse aus den vergangenen Lockdowns wurden nicht als Chance genützt, Lernen neu zu denken und zu organisieren. Das österreichische Schulwesen versinkt im Chaos, trotz aller großen Bemühungen der Lehrerschaft und der Bereitschaft von Schüler- und Elternschaft.
Die Folgen für die Kinder und Jugendlichen sind langfristig und massiv. Seit Monaten wird über die dramatischen psychischen Folgen der Pandemie für die jungen Generationen berichtet. Die in Österreich ohnehin große soziale Kluft in den Bildungschancen wird immer größer. Und während die Wirtschaft den Arbeitskräftemangel als stärkste Bremse für Wachstum beklagt, fallen immer mehr Kinder und Jugendliche aus dem Bildungssystem.
Wir, die Initiatoren des Bildungsvolksbegehrens 2011, haben bereits vor 10 Jahren konkrete Vorschläge für eine Reform des Bildungssystems erarbeitet. Seit vielen Jahren werden Reformen wider alle wissenschaftlichen Erkenntnisse und internationalen Erfahrungen aufgrund veralteter, konservativer parteipolitischer Interessen verhindert.
Wir fordern die österreichische Bundesregierung dazu auf, ihrer Verantwortung endlich entsprechend zu handeln und Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, Kindergartenpädagoginnen und Pädagogen, Schulleitungen und Eltern dabei zu unterstützen, damit die Kinder und Jugendlichen körperlich und geistig unbeschadet aus der Krise kommen.“