Kishons Blaumilchkanal auf österreichisch
von Reinhard Göweil
„Wo jeder zuständig ist, ist niemand verantwortlich.“ Der Aphorismus könnte als Beschreibung der öffentlichen Verwaltung in Österreich dienen. In der ORF-Sendung „Im Zentrum“ am 18. Februar 2024 zum Thema „Russen-Gas“ wurde erneut ein fehlendes Pipeline-Stück von 40 Kilometern im nördlichen Mühlviertel angesprochen, das etwa 200 Millionen Euro kosten würde. Damit würde es möglich, Erdgas auch aus dem Westen (aus Quellen in Nordeuropa) nach Osten zu transportieren und nicht nur umgekehrt. Bisher läuft der Erdgasstrang wie eine Einbahnstraße aus Russland nach Westeuropa und damit nach Österreich. Zuständig für diese Pipeline-Errichtung ist die Gas Connect Austria. Der Pipeline-Betreiber gehört seit 2011 mehrheitlich der Verbundgesellschaft, die wiederum mehrheitlich im Eigentum der Republik Österreich und landeseigener Energieversorger steht. Davor stand das Pipeline-Unternehmen im Eigentum der OMV.
Hier beginnen die polit-bürokratischen Verstrickungen Österreichs, bei denen es freilich um nichts weniger geht als um Österreichs Energieversorgung in Industrie und Haushalt. Zu wichtig, um nicht zuständig zu sein; zu heikel, um dafür Verantwortung zu übernehmen.
Die OMV hat 2018 einen Erdgas-Abnahmevertrag mit der russischen Gazprom bis 2040 abgeschlossen, angeblich sechs Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Das ist eine ordentliche Größe, denn Österreich verbraucht derzeit knapp über sieben Milliarden Kubikmeter. Da schwach zehn Prozent aus heimischer Förderung stammen, könnte man sagen: Mehr brauchen wir nicht.
Das könnten sich 2018 Bundeskanzler Sebastian Kurz und OMV-Chef Rainer Seele gedacht haben, als sie den Vertrag abschlossen. Beide sind mittlerweile nicht mehr in Funktion, aber das verantwortungslose Wechselspiel haben Politik und Bürokratie auch so an sich, so zuständig können sie gar nicht sein.
Da Zuständigkeiten ohne Verantwortung gerne schlicht Statistiken addieren, Wirtschaft aber der Chaostheorie zuneigt, also einer „nichtlinearen Dynamik“ (was immer das ist), kam heraus, was herauskommen musste: Es geht sich für die Hinterbliebenen von Kurz und Seele (also uns alle) nicht aus.
Dass Putin aus der russischen Föderation eine illiberale Autokratie macht, war halt Pech für die Russen, aber nicht für die Österreicher. Und die 2014 annektierte Krim ist grad so groß wie Niederösterreich und das Burgenland – was soll’s? Das sollen Gründe sein, die Freundschaft zu kündigen? Blödsinn, in Wien sollen schon Hausherren gestorben sein.
Das mit der Ukraine 2022, das war schon heftiger. Wenn mia in Wien kan Richter brauchen, dann soll sich der Schuldige gefälligst auch dran halten und da war der Putin schon hartleibig. Nein, er lässt Leute wegen nix einsperren, umbringen und drehte uns den Gashahn ab.
Aber wir in Österreich sind neutral, wir glauben an das Gute. Das Gute ist das Russen-Gas. Also bricht – im Vergleich zu Kishons Israel – im Irrenhaus Österreich niemand aus, denn draußen vor dem Irrenhaus ist die Wirklichkeit schwer zu ertragen. Historisch betrachtet weiß Wien seit Sigmund Freud und der „Privatheilanstalt Svetlin für Nerven- und Gemütskranke“ im dritten Bezirk wie Verdrängung anerkannt funktioniert: Was nicht sein soll, ist auch nicht.
Diese Verdrängung, in der Psychoanalyse hinreißend beschrieben, fand gesetzlichen Niederschlag bis in die öffentlichen Verwaltung der Zweiten Republik. Ein Fallbeispiel ist eben diese „WAG Loop“ genannte Pipeline im Mühlviertel entlang der tschechischen Grenze. Der eher pragmatische Typ Gerhard Roiss, der in Linz studierte und über die dortige Privatindustrie den Weg in die OMV bis in deren Chefsessel fand (inklusive Abservierung 2015), sagte: „Das Pipeline-Investment ist keine parteipolitische Debatte, sondern eine Notwendigkeit für die Energiesicherheit.“
Die politischen Parteien, egal ob Regierung oder Opposition schieben sich unverändert den Schwarzen Peter gegenseitig zu. Und die ausgelagerten Adepten in Verbund und OMV tun es ebenso. Sogar die EU wird in die Pflicht genommen, um diese landesweite Verdrängung zu legitimieren, obwohl in Brüssel niemand gegen das Projekt ist, sondern die EU-Kommission bloß eine ihr zustehende Begründung für deren Förderung verlangt. Bei einem Projektvolumen von 200 Millionen Euro ist das – salopp ausgedrückt – a Lercherlschas. Das Verbund-Jahresergebnis 2024 soll bei etwa 1,5 Milliarden Euro liegen. Die als Finanzinvestor bei der Gas Connect ebenfalls engagierte Allianz-Versicherungsgruppe verdiente in den ersten drei Quartalen 2023 elf Milliarden Euro. Die bei diesem Projekt notwendigen öffentlichen Förderungen ins Thema Energie-Sicherheit sind also mehr als überschaubar.
Faktum ist vielmehr: Die Verbund-Tochter Gas Connect meint, aufgrund der (aus Russland) ohnehin vorhandenen Gas-Ressourcen (sic!) sei dies keine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit, somit mit einem Drittel zu fördern. (Dass Verbund-Chef Michael Strugl davor ÖVP-Wirtschaftslandesrat in Oberösterreich war und es ihn einen unbedenklichen Anruf in der dortigen Landesregierung kostet, die Sache zu beschleunigen, sei erwähnt).
Das Klimaschutzministerium sagt: Grundsätzlich sei es okay, bis 2027 (!) umzusetzen, aber man habe noch keine Anträge. Das klingt seltsam, denn der Pipeline-Bau ist seit Jahren auch im Ministerium bekannt.
Das Land Oberösterreich ist ebenfalls bereit, brauche aber für die betroffenen Gemeinden und Grundeigentümer fixe finanzielle Zusagen der Projektwerber. Die aber warten auf eine Förderzusage…
Daneben gibt es noch die in Ländern und Bund tätigen politischen Parteien, die das Projekt als Tauschobjekt benutzen. Klimaschutzministerium (Grüne) vs. Finanzministerium (ÖVP). FPÖ im Nationalrats-Ausschuss vs. Regierungsparteien. Die SPÖ Oberösterreich schimpft auf ÖVP/Grüne und die Ukraine, die den Gas-Transit Ende 2024 beenden könnte, statt als SP-Fraktion im Nationalrat und danach im Landtag selbst einen Gesetzesantrag einzubringen. Und so wird allenthalben verdrängt statt etwas zu unternehmen.
Fazit: Österreich könnte von Ephraim Kishon lernen. Er zeigte, wie etwas – wenn auch unsinnig – umgesetzt werden könnte, weil die jeweilige politische Bürokratie nicht zuständig sein will. In Österreich dagegen unterbleibt, was alle für sinnhaft halten, weil die jeweilige Bürokratie keine Verantwortung dafür übernehmen möchte. Putin wird sich dafür weiterhin für Milliardenzahlungen herzlich bedanken, wenn nicht im Mühlviertel ein Kasimir Blaumilch einfach beginnt zu bohren…