„Just do it.“
von Reinhard Göweil
Es ist ein trauriger Befund, den der Unternehmer und Ex-Vizekanzler Hannes Androsch kurz vor seinem 83. Geburtstag vorlegte. „Wir wollten vor zehn Jahren mit dem Bildungsvolksbegehren ein rückständiges System nach vorne bringen. Die Forderungen sind bis heute nicht erfüllt, im Gegenteil. Es gibt nach wie vor das Sitzenbleiben, jetzt wieder Noten in der Volksschule, eine viel zu frühe Selektion der Kinder, einen unbrauchbaren Deutsch-Unterricht. Und durch die Pandemie entstanden weitere Defizite.“
Bildung als Basis für wirtschaftlichen Erfolg
Also erneuerten und aktualisierten er und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter kurzerhand seine Forderungen: Verpflichtendes digitales Lernen mittels Rücknahme der zwei gestrichenen Schulstunden und Ausbildung der Lehrer dafür. Abschaffung des 5er; Klassenwiederholdung nur in Absprache mit Eltern und Schülern selbst. Öffnung der Schulen in den Sommermonaten. Abschaffung der Deutsch-Förderklassen, dafür gezielte Förderung: „Früher haben betuchte Menschen ihre Kinder zum Hauslehrer gebracht. Heute müssen Hauslehrer zu den Unerreichten kommen.“
Einbindung von Kindergärten und Berufsschulen ins reguläre Schulsystem, Abschaffung der 300 immer noch existierenden Sonderschulen, gemäß der UN-Behindertenkonvention, die Österreich 2008 unterzeichnete. Lehrpläne entrümpeln, gemeinsame Schule bis 15. Über allem: Chancengleichheit und Schulautonomie.
Der bildungspolitische Alltag schaue anders aus. In der Volksschule wurde ein Notensystem wieder eingeführt, Deutsch-Förderklassen inklusive Tests verschärfen die soziale Kluft schon bei Kindern. Schulen haben keine flächendeckende digitale Infrastruktur. Kindergärten werden anders behandelt als Schulen (keine Höchstzahl der Gruppen), deren Pädagogen werden anders behandelt als Lehrer. „Bruchstellen statt Nahtstellen“, nannte es ein Bildungsexperte.
Das gesamte öffentliche System kostet 150 Milliarden Euro jährlich
Diese Einschätzung trifft aktuell allerdings auf viele öffentliche Bereiche zu. Die Covid-Krise zeigte wie ein Hubble-Teleskop das österreichische Universum von Politik und Verwaltung bis in weit entfernte Galaxien. Und mit jährlichen Kosten von 150 Milliarden Euro erinnert es durchaus an ein gigantisches „Schwarzes Loch“ – um im astrophysikalischen Vergleich zu bleiben.
Entdeckt wurde etwa ein unglaublicher Saustall im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), das eigentlich vom Innenministerium zu führen ist. Einige der von der Staatsanwaltschaft mittlerweile untersuchten Gegenstände firmieren eigentlich unter „des-gibt’s-ned“. Aber das alles auf Staatskosten. Dafür wurde ein früher Hinweis zum Wiener Attentäter (vier Tote, 22 Verletzte) im Kompetenz-Wirrwarr zu spät entdeckt.
Entdeckt wurde, dass Österreich nicht 5000, sondern 186 unbegleitete Jugendliche auf Flucht aufgenommen wurden. Und dass es ein „SOS-Kinderdorf“ für 500 Jugendliche in griechischen Flüchtlingslagern bis heute nicht gibt. Apropos Außenpolitik: Es stellte sich heraus, dass Österreich mannigfaltige Vorwürfe an die EU richtete, und dabei vergass, dass der heimische Bundeskanzler im Europäischen Rat die diesbezüglichen Beschlüsse abgenickt hat. Mittlerweile hat sich in Sachen EU-Politik Kurz‘ holländischer Amtskollege Rutte von ihm distanziert.
Besonders aufschlussreich war die Entdeckung der Corona-Galaxie:
Entdeckt wurde dort, dass sowohl Testungen als auch Impfungen gegen die Covid-Viren über Monate in einem innerösterreichischen Chaos verzögert wurden und werden. Dass zwar etliche Bürgermeister getestet sind, aber in der Steiermark nicht alle über 80jährigen, erschließt sich nicht.
Entdeckt wurde zudem, dass trotz Datenschutz und flächendeckender Finanzämter die Abwicklung von Corona-Hilfsmaßnahmen der Wirtschaftskammer Österreich übergeben wurde. Dass die Wirtschaftskammer Österreich hier Hunderte Millionen Euro Steuergeld vorab vereinnahmte, aber nicht gleich wieder auszahlte, ist seltsam.
Haarsträubende organisatorische Mängel
Entdeckt wurde zudem, dass ein digitales Kaufhaus Österreich von Wirtschaftsministerium und Wirtschaftskammer 1,3 Millionen Euro an Steuergeld kostete, um eine unbrauchbare Link-Sammlung zusammenzustellen, die es mittlerweile nicht mehr gibt.
Entdeckt wurde, dass Tiroler Nationalratsabgeordnete Warnhinweise des Gesundheitsministeriums für Tirol als „Rülpser aus Wien“ bezeichnen. Folgenlos, übrigens.
Entdeckt wurde, dass von den angekündigten „Koste, was es wolle“, die von der Regierung mit 50 Milliarden Euro beschrieben wurde, gerade einmal 15 Milliarden in der Wirtschaft ankamen.
Entdeckt wurde, dass das Bundesheer 2020 im Zuge der Corona-Bekämpfung erstmals die Miliz mobil machte. Während die Schweiz dafür drei Tage benötigte, dauerte es in Österreich fast drei Monate. Es traten derart haarsträubende organisatorische Mängel zutage, dass es umso beruhigender ist, dass Österreich von Freunden umgeben ist. Für Corona-Hotlines hat es dann ab Mai 2020 gereicht, als Teil der militärischen Landesverteidigung wäre es wohl schwierig gewesen.
In der Justiz stellte sich heraus, dass sich führende Ministerial-Beamte mit diversen Staatsanwaltschaften einen Grabenkampf lieferten, und zudem noch – vermutlich – Akteneinsicht in Dinge bekamen, die sie eigentlich nix angehen. Alles auf Staatskosten.
Kurzarbeit statt Schaffung von Arbeitsplätzen
Im Landwirtschaftsministerium war zu entdecken, dass Österreich in der EU gegen eine Kopplung von Agrarförderung und Einhalt sozialer Mindestvorschriften für Erntehelfer stimmte. Dafür wurde Waldbesitzern ein Hilfsfonds von 350 Millionen Euro eingerichtet, so viel hat Österreich für die Impfungen noch nicht ausgegeben. Auch so mancher Unternehmer im nicht-agrarischen Bereich hätte sich über solche Fördermaßnahmen gefreut.
Zu entdecken war auch, dass zu Unrecht verhängte Strafen vom Staat nicht zurückgezahlt werden. Auch manche Bundesländer setzen die Umsetzung von Bundesgesetzen weniger verbindlich als dies der Gesetzgeber eigentlich vorsieht. Nach dem Gleichheitsgrundsatz könnte nun jeder Bürger seine Steuer-, Abgaben- oder Gebührenleistungen individuell auslegen, denn vor dem Gesetz sind ja alle gleich. Getreu dem Motto: Jedem Bürger sein ganz persönlicher Erlass…
Last, but not least, gibt es ein Steuersystem, dass gerade jetzt nach Reform schreit. Außer Schuldenmachen und business-as-usual bei der Budgeterstellung ist aber nichts zu erkennen. Dass Lohn- und Umsatzsteuer mittlerweile fast die Hälfte des Budgetaufkommens stemmen, ist einer modernen Volkswirtschaft unwürdig und nichts deutet daraufhin, dass sich daran etwas ändern wird. Die Grünen mögen sich an den Nova-Änderungen und unverbindlichen Entschließungsanträgen erfreuen, aber es bräuchte eine systemische Reform.
Die Industriepolitik hat sich abgemeldet, auf dem Altar der LKW-Sparte von VW, die lieber den US-Hersteller Navistar übernimmt, wird MAN Steyr geopfert. Es gibt keine Aktionärskultur, und das Thema Forschung ist eine Baustelle seit Jahren.
Daher müssen weitere Milliarden zur Finanzierung der Kurzarbeit aufgewendet werden, weil Österreich sein Wachstumspotenzial nicht ausschöpft. Und damit auch Arbeitsplätze fehlen.
Österreich fällt beim Wachstum zurück
Hannes Androsch hat in seinem 10-Jahres-Resümee zur Bildung aufgezeigt, aber sein „just do it“ wird geschluckt vom Verantwortungsloch zwischen Politik und Verwaltung, zwischen Bund, Länder und Gemeinden.
Das gilt – wie beschrieben – für leider allzu viele Bereiche der Republik Österreich.
Es expandiert vielmehr ein politisches Desinteresse an Gestaltung, an Ideen, an Innovation. Österreich leistet sich eine Regierung von Pressesprechern, die am Schluss nicht dabei gewesen sind oder die Schuld an Wohlstandsverlust, Arbeitslosigkeit und fehlender Innovationskraft anderswo suchen – etwa bei der EU.
Es wäre an der Zeit, dass der Staat beginnt, sich neu zu ordnen und insgesamt zu schrumpfen. Es ist an der Zeit, das Gesetz des Handelns in viel stärkerem Maß der Zivilgesellschaft zu überlassen. Österreich hat wenig Erfahrung mit Liberalismus, aber ein Blickbefund zeigt: Ein demokratischer Rechtstaat mit weniger Verwaltung kann nicht teurer und ungerechter sein. Das jüngste Zeugnis stellt der Regierung jedenfalls kein gutes Zeugnis aus. Das Wirtschaftsforschungsinstitut erwartet, dass Österreichs Wirtschaftswachstum heuer bestenfalls die Hälfte des Durchschnitts der Eurozone ausmacht und etwa ein Drittel der USA.