Ist die OMV Energieversorger oder bloß privater Konzern?
von Reinhard Göweil
OMV-Chef Alfred Stern hat es nicht leicht, selbst wenn das sehr gut bezahlt wird. Er muss als „Gesicht“ der OMV in der Öffentlichkeit glaubhaft darlegen, dass sein Unternehmen angesichts der stark reduzierten Gas-Lieferungen aus Russland alles tut, um die Versorgung in Österreich zu sichern. Gleichzeitig muss er seine Aktionäre bei Laune halten, die angesichts der Marktlage heftig steigende Dividenden erwarten. Und einen Chef, der liberalisierten freien Märkten das Wort spricht. In dieser Sandwich-Position versucht Stern derzeit, beides zu erreichen. Er verteidigt die vom Markt definierte Preisfindung bei Erdgas und sagt gleichzeitig: „Bei den gegenwärtigen Preisbewegungen stellt sich die Frage, ob das noch real ist.“ Immerhin ist der Gaspreis von 2020 etwa zehn Euro je Megawattstunde auf gegenwärtig mehr als 200 Euro gestiegen.
In Deutschland ist die OMV über ihre dortige Tochtergesellschaft als Gas-Importeur tätig und hat das Gas vor allem über die Nord-Stream-1-Pipeline erhalten, die derzeit gar nichts liefert. Die OMV hat daher um öffentliche Unterstützung aus der im Nachbarland heftig umstrittenen „Gas-Umlage“ angesucht.
Verstaatlichung: Phantastischer Realismus
Deutschland und Frankreich begannen nun, Energieunternehmen zu verstaatlichen, vor allem jene, die im Handelsgeschäft tätig sind. Stern hält sich aus der Beurteilung anderer Länder vollkommen raus, verweist aber auf die Leistungen der OMV: Deren Gasspeicher, die etwa 25 Prozent der heimischen Speicherkapazität ausmachen, seien zu 93 Prozent gefüllt. Die Gasversorgung wurde über Norwegen, Italien und Flüssiggas aus Anlagen im Hafen Rotterdam (dem größten in Europa) sichergestellt. Alles, was aus Russland kommt, sei die Butter aufs Versorgungs-Brot. „Wir haben dafür praktisch mit Kriegsbeginn in der Ukraine eine task-force eingerichtet, die immer da ist. Die OMV zeigt hier einen engagierten Einsatz.“
Auch dieser Einsatz leuchtet in der OMV-Bilanz wie ein heller Stern. Die Republik Österreich gibt für die „strategische Gasreserve“ heuer etwa 6,2 Milliarden Euro aus. Und zahlt dafür Preise, die um bis zu 30 Prozent über den ohnehin schon enormen Marktpreisen liegen. Auch die OMV verkaufte Gas an die Republik.
Gasspeicher als Geschäft
Hier ist eine Erklärung notwendig: Die Gasspeicher in Österreich sind besonders voluminös, sie machen fast einen Jahresverbrauch Österreichs aus. In Deutschland ist das „nur“ annähernd ein Drittel. Österreich verbraucht etwa 90 Terrawattstunden Erdgas, dies nur als Messgröße. Da alle Speicher zu mehr als 70 Prozent gefüllt sind, bedeutet das im Moment ein Speichervolumen von mehr als 60 Terrawattstunden. Damit sollte Österreich mehr als locker über den Winter kommen, allerdings gehört das Gas nicht österreichischen Kunden alleine. Die deutsche Uniper, der gerade in Verstaatlichung befindliche Energiehandelskonzern in (noch) finnischem Eigentum, besitzt etwa 20 Prozent der heimischen Gasspeicher. Ein Drittel entfällt auf die defacto enteignete russische Gazprom. Die befüllt seit 2021 ihren österreichischen Speicher nicht mehr, kaum vorstellbar, dass dies niemand aufgefallen ist.
Um also diesen Speicherstand zu erreichen, hat der Staat mehr als sechs Milliarden Euro in die Hand genommen, sprich: Unternehmen wie der OMV das Risiko signifikant herabgesetzt.
Dass ein Staat (das macht so gut jeder in Europa) Risiko übernimmt, das später als Dividende an Aktionäre ausgeschüttet wird ließ die Idee der befristeten Besteuerung dieser Übergewinne reifen. Er wird nun auch von der EU-Kommission unterstützt. OMV-Chef Alfred Stern wechselte im Klub der Wirtschaftspublizisten dabei den Hut und wurde vom Versorger zum CEO eines börsenotierten Unternehmens. „Der Berechnungszeitraum 2019 bis 2021 ist zu hinterfragen.“ Denn im Durchschnitt dieser Jahre war der Gaspreis wegen der Covid-lockdowns sehr niedrig, umso höher wäre die Bemessungsgrundlage. Mit der angepeilten Höhe eines Steuersatzes von 33 Prozent hat er auch wenig Freude.
Düngemittel als politischer Dünger?
Und auch beim geplanten Verkauf der Düngemittel-Tochter „Agrolinz“ an die tschechische Agrofert-gruppe des ehemaligen dortigen Regierungschef Babis ist er ganz CEO. „Tschechien ist Nachbar und EU-Mitglied. Wir können alles in der EU Frage stellen, aber wo hört das auf?“ Faktum ist, dass heimische Bauernvertreter, das Land Niederösterreich und nun auch der frühere ÖIAG-Manager Claus Raidl gegen den Verkauf auftreten. Das Land Niederösterreich klagt sogar gegen den Verkauf, weil die Versorgungssicherheit der Landwirtschaft mit dem für den Anbau notwendigen Stickstoff gefährdet sei. Die Düngemittelsparte sei strategisches Ziel mehr, so Stern. Denn dort wird Erdgas als Rohstoff benötigt. Die in Linz beheimatete Düngemittelsparte der OMV verbraucht daher enorme Mengen an Erdgas, fast die Hälfte des gesamten oberösterreichischen Verbrauchs. Mit dem Verkauf würde die OMV die künftige Erdgasversorgung für das Linzer Unternehmen in die Hände der Tschechen legen, zweifelsohne ein strategischer Vorteil. Nun, Pläne zum Verkauf dieser Düngemittelsparte gibt es seit 20 Jahren, auch aus Gründen der unsicheren Rendite. Ein damals angedachter Verkauf an die BASF hat sich ebenso zerschlagen wie vieles andere auch. Die Sparte macht aber immer noch – wenn auch bescheidenen – Gewinn.
Strategie 2030 als sicherer Hafen
Dass die staatliche ÖBAG-Holding mit 31 Prozent sein größter Einzelaktionär ist, sei bei all dem kein Problem. Stern: „Auch die ÖBAG hat die langfristige Wertsteigerung ihrer Beteiligungen als Ziel.“ Um aus der Zwickmühle zu entkommen, spricht Stern lieber über die Strategie der OMV. Da die EU bis 2050 klimaneutral wirtschaften will, stellen sich für Öl- und Gas-Konzerne wie die OMV tatsächlich enorme Herausforderungen. Die OMV muss weitgehend raus aus ihren fossilen Energien, die das Geschäftsmodell tragen. Die jetzigen Preise sorgen für enormen cash-flow, damit sollen Investitionen finanziert werden, die auf erneuerbare und recyclierbare Rohstoffe basieren. Geothermie, Wasserstoff, Kreislaufwirtschaft. Darauf ruht sein Konzept.
Es ist sicheres Terrain, denn erstens sprechen wir von der unbekannten Zukunft, zweitens bleibt ihm angesichts der Klimakrise sowieso nichts anderes übrig. Fokus der Strategie ist die OMV-Tochter Borealis, die am Kunststoffsektor tätig ist. „Bei hochwertigen Kunststoffen liegt die jährliche Steigerungsrate bei vier Prozent, bei wiederverwendbaren Kunststoffen bei zwölf Prozent“, so Stern. Benzin und Diesel sowie Gas als Heizenergie sind Auslaufmodelle. „Wenn wir heute falsch abbiegen, stecken wir in 20 Jahren in der Sackgasse“, so die verwendete Erklärung, die auch andere Generaldirektoren mit längeren Investitionszyklen gerne verwenden.
Und auf noch etwas wird sich Österreich einstellen müssen: Die niedrigen Wasserstände am Rhein und volle Bahn-Kapazitäten sowie kommende weitere Sanktionen gegen Russland bei Rohölprodukten werden wohl den Dieselpreis weiter in die Höhe treiben. Diesel-Fahrer werden gut daran tun, sich den Satz des OMV-Chefs zu eigen zu machen: wer jetzt falsch abbiegt landet in der Sackgasse. Strategisch macht der rasche Ausstieg aus einem Diesel-Auto vermutlich langfristig Sinn.