In der Rohstoff-Welt herrschen die wahren Oligarchen
von Reinhard Göweil
Österreich kam im Zug des Krieges gegen die Ukraine drauf, dass mehr als 75 Prozent des verbrauchten Erdgases im Land aus Russland stammen – eine unerträgliche Abhängigkeit. Was – bis auf ein paar Experten – Österreich noch nicht weiß, ist, dass die wahre Abhängigkeit indes gegen zehn globale Konzerne im Rohstoff-Bereich besteht. Diese kennt erstens niemand und zweitens wurden sie noch nie von der EU-Wettbewerbsbehörde ins Visier genommen. Denn sie beherrschen nicht nur die Rohstoff-Märkte physisch, sondern auch die damit verbundenen Finanzströme. Wenn diese Konzerne mit ihren Finanztöchtern auf steigende oder fallende Preise spekulieren, dann fallen oder steigen die Preise. Derzeit steigen sie, und nicht zu knapp.
Wer sind nun diese Konzerne?
Cargill – Archer Daniels Midland (AMD) – Cofco – Louis Dreyfus – Bunge
Schon jemals was gehört von diesen Unternehmen?
Sie teilen sich den Weltmarkt der Agrar-Rohstoffe auf. Diese Unternehmen machen die Preise – und nicht der Kaffeebauer in Kolumbien, die Körndlbauern in Russland oder die Baumwoll-Farmer in Indien.
BHP Billiton – Rio Tinto – China Shenhua Energy – Glencore- Vale
Schon jemals was von diesen Unternehmen gehört?
Sie bestimmen die Preise der metallischen Rohstoffe. Denn – erraten – die Eisenerz-Minen in Brasilien, die Platin-Schürfer in Südafrika oder die Seltene-Erden-Bergwerke in Vietnam machen es nicht. Vor allem nicht die dort jeweils tätigen Mitarbeiter.
In Zeiten der Verschwörungstheorien klingen solche Aussagen seltsam, so nach dem Motto: eine Handvoll Menschen beherrschen die Welt. Das ist nicht der Fall. Es geht um eine schlichte Dysfunktion des Marktes, weil diese Konzerne nicht nur den Handel mit diesen sogenannten Commodities in der Hand hat, sondern auch einen schönen Teil der Preisgestaltung.
Grundnahrung als Spekulationsobjekt
Gerade mit Agrar-Rohstoffen wird von den Konzernen auf Teufel komm‘ raus spekuliert. Insgesamt liegt das tägliche Volumen dieser Derivate, also Preiswetten, bei 8300 Milliarden Dollar. Etwa ein Fünftel davon entfällt auf agrarische Rohstoffe, also knapp 1700 Milliarden Dollar. Damit wird über solche wettähnlichen Finanzinstrumente täglich genauso viel umgesetzt, wie der physische Handel mit Agrargütern weltweit jährlich ausmacht.
Für die oben genannten Unternehmen ist dies ein einträgliches Geschäft. Sie wissen, aufgrund ihrer Inflation befeuert, etwa über steigende Mehl- und Brotpreise. Das könnte in armen Ländern, warnt die UNO, zu Hungersnöten führen.
Zweistellige Gewinnzuwächse
Der Marktführer im weltweiten Getreidehandel, das US-Unternehmen Cargill, konnte dagegen schon 2021 den höchsten Profit der 157-jährigen Firmengeschichte verzeichnen. Der Netto-Gewinn stieg um mehr als 60 Prozent auf fünf Milliarden Dollar. Das im US-Bundesstaat Delaware beheimatete Unternehmen gehört zu 88 Prozent der Familie Cargill und beschäftigt weltweit mehr als 150.000 Menschen, vor allem im Handel und der Nahrungsmittel-Industrie. Ein firmeneigener Hedge-Fonds sorgt für die lukrativen Sicherungs- und Spekulationsgeschäfte.
Cargill ist ein recht gutes Beispiel, denn mit Ausnahme von Archer Daniels Midland (AMD) und der staatlichen chinesischen Cofco, befinden sich alle großen Agrarrohstoff-Konzerne in Familienbesitz. AMD, mit Sitz in Chicago, notiert an der New Yorker Börse, hat aber große Vermögensverwalter und Farmer-Pensionsfonds als Haupteigentümer, die nicht daran denken Anteile zu verkaufen. Die AMD-Aktie hat sich seit 2017 immerhin verdoppelt und zahlt attraktive Dividenden.
All-inclusive Unternehmen
Diese Handvoll Konzerne beherrschen den Agrar-Weltmarkt und betreiben nebenbei auch Lagerhäuser, Häfen, Schiffe, Raffinerien, Ölmühlen. Und sie sind wesentliche Investoren auf den Warenterminbörsen.
Eine wichtige Rolle spielt hier die Schweiz. Dort existieren große Handelsräume, die sich auf Commodities, also nicht nur Getreide, Kakao, Soja, Kaffee, sondern auch den Metall- und Edelmetall-Handel, spezialisierten.
Mittendrin also die großen Agrar-Konzerne, die auch über eigene Wetterdienste verfügen und so die Ernte-Erwartungen in jeder Weltregion recht gut einschätzen können.
Chinas Rolle
Eine Spezial-Konstruktion ist Cofco. Der staatliche Agrar-Konzern Chinas mit Sitz in Peking ging strategisch in den Rohstoff-Handel und die Nahrungsmittel-Verarbeitung. Das Unternehmen steht in enger Verbindung zur Pekinger Führung und ist wohl Teil der chinesischen Strategie, sich weltweit Ressourcen zu sichern; in diesem Fall schlicht Nahrungsmittel. Unter Rohstoffhändlern gilt der Satz, dass „China etwa die Hälfte von allen Commodities weltweit benötigt“.
Dass die anderen vier Konzerne ebenfalls Geschäfte mit China machen, versteht sich dabei von selbst.
Angesichts der rasant steigenden Nahrungsmittelkrise sprechen sich Ökonomen und Wirtschaftspolitiker in der EU für eine wettbewerbsrechtliche Prüfung der Agrar-Konglomerate aus, vergleichbar mit den Ölkonzernen. Diese Forderung war bisher eher von kapitalismuskritischen Nicht-Regierungsorganisationen erhoben worden, mit dem Hinweis auf deren marktbeherrschende Stellung.
Denn mit den Warentermingeschäften können die Gewinnmargen deutlich erhöht werden. Bei den Produzenten, sprich den Bauern, kommen die Preisschwankungen nach oben nicht in dieser Dimension an. Die Agrarkonzerne kaufen gerne große Mengen zu fixierten Preisen, dies oft zu Zeitpunkten, an denen die Preise an den Warenbörsen noch ganz andere sind.
Für viele Bauern, vor allem in ärmeren Ländern, kommt in der aktuellen Situation noch ein Problem dazu. Erdgas ist ein wesentlicher Grundstoff für die Produktion von Stickstoffdünger, und mit dem Erdgaspreis steigen auch die Düngerpreise. Viele Landwirte können sich das nicht leisten.
Wettbewerbsbehörden schauen (noch) zu
Eine zusätzliche Komplikation tut sich im grausamen Spiel mit den weltweiten Rohstoffen auf: Deren steigende Preise führen zur Erwartung, dass sie noch weiter steigen. Also wird die Lagerhaltung erhöht, weil dann die Produkte vielleicht noch teurer verkauft werden können. Das wiederum führt zu Verknappung, die Preise klettern. Eine selbsterfüllende Prophezeiung, da die großen Lager wiederum in Händen der Handelskonzerne sind.
Heavy Metal
Wie wild da herumgezockt wird, zeigt das Beispiel des Metalls Nickel an der London Metal Exchange. Der Handel war wegen wilder Kurssprünge ausgesetzt und mit täglichen Ausschlägen von fünf Prozent limitiert worden. Andere Metalle wie Aluminium wurden in 15-prozentige Preisbänder gesetzt. Da sich ein großer chinesischer Rohstoffhändler bei Nickel aber ordentlich verspekuliert hatte und den Preis nicht zahlen konnte, weigerten sich die dahinter finanzierenden Banken dem Händler Geld zur Verfügung zu stellen. Die Folge war pures Chaos an der ältesten Metallbörse der Welt, obwohl die Nickel-Minen genauso produzieren wie davor. Nickel wird für die Batterien-Produktion benötigt, die Zockerei führte also in den Batterie-Unternehmen zu Produktions-Stillständen. Ähnliches ist in den Verarbeitungsbetrieben anderer Branchen, etwa der Lebensmittelindustrie, zu beobachten. Abschließend also noch ein Wort zu den Milliarden-Umsätzen der Agrar-Rohstoffkonzerne: Es gibt natürlich andere Branchen-Großkonzerne wie Nestle, Unilever, Danone, Mars. Die verarbeiten jene Grundprodukte, die von den fünf genannten Unternehmen gehandelt, gepreist und manchmal auch in Plantagen selbst produziert werden. Im Mars-Riegel steckt Zucker, der von Louis Dreyfus kommt, in der Nestle-Babynahrung Milchpulver, das von Cargill zugekauft wurde. Eine Ausnahme macht Wasser, das von Nestle stark forciert wird, aber keinen Börsepreis hat.
Hier also noch einmal (wie in der Grafik auf der Startseite ersichtlich) die Kennzahlen der Agrar-Rohstoffkonzerne:
Cargill: Der Umsatz stieg von 2020 auf 2021 von 115 auf 135 Milliarden Dollar. Der amerikanische Konzern ist in 72 Ländern der Welt tätig und beschäftigt mehr als 160.000 Mitarbeiter.
AMD: Der Umsatz liegt bei 86 Milliarden Dollar. Der Konzern beschäftigt 39.000 Mitarbeiter und betreibt 270 Betriebsstätten weltweit.
Louis Dreyfus: Der Umsatz liegt bei 35 Milliarden Dollar. Der Konzern ist in 100 Ländern tätig und beschäftigt 18.000 Mitarbeiter. Louis Dreyfus ist in Amsterdam gemeldet.
Bunge: Der Umsatz liegt bei 43 Milliarden Dollar. Der Konzern beschäftigt in 40 Ländern etwa 35.000 Mitarbeiter. Bunge sitzt in den USA
Cofco: Der Umsatz liegt bei 73 Milliarden Dollar. Der chinesische Staatskonzerne beschäftigt 110.000 Mitarbeiter in mehr als 30 Ländern.