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Erstellt am 16.05.2024

Heiße Schokolade

von Reinhard Göweil

„Kakao-Preise verdreifacht – Schokolade wird empfindlich teurer.“ So lauteten die Schlagzeilen der Medien weltweit zuletzt. Zu den Fakten: Ein Kilo Milch-Schokolade kostet in unseren Breiten im Lebensmittelhandel etwa 15 Euro und besteht zu 40 Prozent aus Kakao. Die teuerste Schokolade der Welt bringt mehr als 200 Euro – für 50 Gramm. Soll so sein.

Insgesamt wird der Schokolademarkt weltweit auf etwa 130 Milliarden Euro geschätzt. Bei den fünf Millionen Kakao-Bauern, die jährlich weltweit insgesamt fünf Millionen Tonnen Kakao-Bohnen ernten, kommen davon bestenfalls zehn Milliarden an. In der beträchtlichen Differenz liegen die Probleme. Sie benennen fehlende Gerechtigkeit, unfairen Wettbewerb wegen Oligopol, keine ökologischen Nachhaltigkeit und eine tatenlos zusehende Weltpolitik. Einige wenige haben den Boden, der die Menschheit ernährt, an sich gerissen, auch beim Kakao. Und verdienen verdammt gut damit, vor allem jetzt.

Etwa 70 Prozent der globalen Kakao-Produktion konzentrieren sich heute auf die westafrikanischen Länder Elfenbeinküste und Ghana. Nicht wie in früheren Zeiten, als die Bohne in Wasser, Gewürze, später in Milch eingelegt wurde, sondern weil sie von drei marktbeherrschenden Konzernen weiterverarbeitet wird: Geröstet, als Butter bzw. konzentrierte, pulverisierte und entschalte Kakao-Masse. So wird sie heutzutage in der Schokolade-Industrie verwendet, nicht als Bohne.

Barry Callebaut, Cargill, Olam

Nun stieg der Kakao-Preis ins Unermeßliche, aber wer macht den Preis und wer verarbeitet die Bohne? Das ist simpel: Barry Callebaut, der größte Kakaoproduzent der Welt hält etwa 30 Prozent Weltmarktanteil. Cargill und Olam folgen mit etwa 20 Prozent. Die drei Unternehmen bestimmen also, was mit sieben von zehn Kakao-Bohnen weltweit passiert. Und das umfassend.

Sie kaufen den – meist kleinen afrikanischen Bauern – die Ware ab. Sie ermöglichen neue Kakao-Plantagen, indem Wälder geschlägert werden. Sie lagern die Bohnen und verarbeiten sie in Fabriken, die ebenfalls in der Elfenbeinküste und Ghana errichtet wurden. Und die drei Konzerne haben jeweils Finanz-Töchter, die an der „Chicago Mercantile Exchange“ (CME), zu der auch die Londoner Warenbörse gehört, mit Agrar-Rohstoffen handeln, auch mit Kakao. Und sie sind nicht nur vor Ort und an der Börse, sondern sie nutzen auch Wetter-Satelliten, um über ihre Anbaugebiete zu wachen. Die drei Unternehmen wissen schon bei der Aussaat mehr als der afrikanische Bauer vor der Ernte. Und sie verfügen auch über unerschöpfliche finanzielle Mittel. Wenn ein ghanaischer Kakao-Farmer nicht mehr weiß, wie er Dünger, Pflanzenschutzmittel und Arbeiter bezahlen soll – Cargill, Olam und Barry Callebaut wissen es.

Das führt dazu, dass die drei Unternehmen, um den Bauern Druck zu nehmen, schon vor den beiden Ernten im Mai und Oktober die Bohnen zu einem fixierten Preis abnehmen. Im aktuellen Fall bekamen die Bauern zwischen 1600 und 1800 Dollar je Tonne. Der Börse-Preis im April, der für Aufsehen sorgte, lag bei 12.000 Dollar.

Die Börse, arme Bauern, zahlende Konsumenten

Vom an der Chicagoer Börse gehandelten Spitzenpreis im April hatten die afrikanischen Bauern nichts. Mittlerweile ist die von den drei Unternehmen wohlwollend begleitende Spekulationsblase geplatzt, die Preise für Ende 2024 und 2025 liegen bei weniger als der Hälfte, Tendenz sinkend (siehe P.S. unten). Auch vom immer noch höheren Preis haben die afrikanischen Bauern wenig, sie verkauften ihre kommende Haupternte im Herbst bereits im vorhinein, um über die Runden zu kommen.

Die geringere Ernte in Westafrika ist wegen El Nino und des Klimawandels eine Tatsache, was deren materielle Basis schwächt. Barry Callebaut, Cargill und Olam hingegen können ruhig schlafen. Sie haben nicht nur günstig gekaufte Kakao-Bohnen in ihren Lagerbeständen, sondern den Bauern bereits zu fixierten Preisen die Ernte im Herbst/Winter abgekauft. Dieser Preis unterscheidet sich doch erheblich von jenen Preisen je Tonne, die an der CME gehandelt werden.

Wenn nun also in Europa, Abnehmer von mehr als die Hälfte des Kakaos aus Westafrika, die Schokolade für Konsumenten teurer wird und die Kakao-Bauern nichts davon haben, bleiben die „Marktteilnehmer“ dazwischen übrig, den Milliarden-Profit einzustreifen.

Und damit nicht genug: Die „Großen Drei“ im Kakao-Geschäft erhalten zudem Kompensation. Denn in der Elfenbeinküste und in Ghana gibt es Regierungsbehörden, die den Minimalpreis für Kakao festsetzen und den Käufern – also Barry Callebaut, Cargill, Olam – eine Menge garantieren. Wegen der Missernte können diese Mengen nicht erfüllt werden, sodass die Regierungen beider Länder an diese Abnehmer-Konzerne Kompensation zahlen müssen. Deren Höhe ist noch unbekannt, aber es fließt dadurch nochmals Kapital aus den ohnehin ärmeren Ländern ab.

Die Gewinner der Malaise

Die Nummer 1 im Kakao-Business mit 30 Prozent Weltmarkt-Anteil ist ein Schweizer Konzern namens Barry Callebaut. Der kauft die Ernte von Farmern in Westafrika und auch in Südamerika und Asien. Und er entwickelt Plantagen in diesen Ländern, denn in diesen Ländern stehen auch die Verarbeitungs-Fabriken. Callebaut notiert an der Schweizer Börse, wird aber kontrolliert von der Schweizer Jacobs Holding, die aus dem gleichnamigen Kaffeeimperium entstand. Die deutschstämmige Familie Jacobs zählt zu den reichsten Schweizer Familien, wir reden von einem zweistelligen Milliardenvermögen.  Barry Callebaut setzt mit 13.000 Mitarbeitern im Kakao-, Schoko- und Pralinen-Business etwa zehn Milliarden Euro um, der Gewinn liegt bei knapp unter einer Milliarde. Mit Bensdorp ist Callebaut zudem im Schoko-Konsumentengeschäft tätig.

Cargill ist bei Kakao Nummer 2 mit 20 Prozent. Der US-Agrarkonzern ist der größte der Welt mit 170 Milliarden Dollar Umsatz und gehört zwei verbundenen Familien: Cargill und MacMillan. Sie scheuen die Öffentlichkeit, der Geschäftsbericht kommt mit zehn Seiten aus. Die Familie gilt in Summe als die reichste in den USA, 14 ihrer Mitglieder werden im Milliardärs-Ranking des US-Magazins Forbes genannt. Auch Cargill verfügt über Kakao-Verarbeitungsfabriken in Westafrika.

Nummer 3 ist Olam, der „Newcomer“ im Agrobusiness. Während Jacobs und Cargill Ende des 19. Jahrhunderts ihre heutigen Konzerne gründeten, startete Olam 1989 in Nigeria. Heute gehört das Unternehmen, das 47 Milliarden Dollar umsetzt über deren Beteiligungsgesellschaft Temasek mehrheitlich dem Staat Singapur. Mit 15 Prozent ist der japanische Konzern Mitsubishi Corporation strategischer Partner bei Ausbau der weitweiten Agro-Business. Kakao spielt dabei eine wichtige Rolle. Auch Olam betreibt Kakao-Fabriken in Afrika. Olam kommt dabei auf etwa 19 Prozent Weltmarktanteil.

Diese drei unbekannten Konzerne, die über mehr Ressourcen im weltweiten Agar-Geschäft verfügen als Staaten, die FAO (Welternährungsorganisation der UN), Weltbank und OECD zusammen, kontrollieren 70 Prozent des weltweiten Kakao-Marktes.

Wenn Konsumenten Schokolade von Milka, Nestle, Bensdorp oder die Eigenmarken der Einzelhandelsketten kaufen, können sie sicher sein, dass Callebaut, Cargill und Olam drinnen steckt. Und bei diesen drei Konzernen bleibt auch ein Milliardengewinn aus der Kakao-Spekulation hängen.

Abholzung als enormes Problem

Diese drei Konzerne tragen auch Mitverantwortung an der Kakao-Misere in Westafrika. Mit ihrer Hilfe wurden Wälder abgeholzt, um Platz für Kakao-Plantagen zu schaffen. Die ETH Zürich, eine renommierte Universität, hat in einem Projekt 2023 festgestellt, dass die beiden Kakao-Hauptproduzenten Elfenbeinküste und Ghana seit 1950 den Großteil ihrer bewaldeten Fläche verloren haben. Die Elfenbeinküste 90 Prozent, Ghana 65 Prozent. In der Elfenbeinküste wird der Kakao-Anbau dafür – so die ETH – mit 37 Prozent zur Verantwortung gezogen, in Ghana mit 13 Prozent.

Als die EU jüngst ihr Gesetz zur Bekämpfung der Abholzung der Tropenwälder beschloss, das vor allem den Anbau von Holz, Kakao und Palmöl betrifft, waren es die Verbände dieser weitgehend unbekannten Agrar-Konzerne, die unverhohlen in der EU-Kommission dagegen lobbyierten. Man sei auch gegen die Zerstörung der Tropenwälder, aber wolle eigene Ideen dazu stärker einbringen können, so die Argumentation der Agrarkonzerne. Greenpeace und andere Umweltschutz-Organisationen glauben dem nicht so recht. Wie das ab 2025 geltende Gesetz real umgesetzt werden kann, hängt nämlich wiederum an den jeweils nationalen Zollbehörden – und denen fehlt es dazu an Personal und Ressourcen.

Korruption, Kinderarbeit…

Die Elfenbeinküste und Ghana liegen im globalen Korruptionsindex bestenfalls im Mittelfeld und die ETH Zürich hat auch aufgrund der Daten festgestellt, dass die Kakao-Plantagen dort größer sind als offiziell angegeben. Illegaler Kakao also, der trotzdem von den Konzernen übernommen und verarbeitet wird. Ein weiteres Problem beim Kakao ist die Kinderarbeit. Die Kakao-Farmer in Westafrika sind – abseits der großen Plantagen – sehr kleinteilig. Kinder müssen zum Familienunterhalt mitarbeiten statt in die Schule zu gehen.

Nun haben die Agrarkonzerne Programme entwickelt namens „International Cocoa Initiative“

Sie laufen, um Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen, was auf den Unternehmens-Homepages gebührend gefeiert wird. Aber es ist ein Tropfen auf dem heißen Stein, denn dem grundlegenden Problem wird nicht entsprochen. Eltern aus den benachbarten Ländern wie Burkina Faso und Benim verkaufen ihre zehnjährigen meist männlichen Kinder an die Kakao-Plantagen. Die Eltern bekommen dafür Geld, um der Armut zu begegnen. Die Buben bekommen in den Plantagen kein Geld, und selbst eine Vertreterin der Industrie-Initiative „International Cocoa Initiative“ musste in einem ARD-Beitrag mitansehen, wie ein 13jähriger Bub erklärt, dass er noch nie zur Schule gegangen ist. Die verkauften Buben bleiben meist bis 18 auf diesen Plantagen. Mundmasken bei deren Arbeit mit chemischen Pflanzenschutzmitteln zählen schon als großer Erfolg.

…und die Agar-Manager in der Schweiz, den USA und Singapur

In der Schweiz, in den USA und in Singapur sitzen derweil einige wenige Agrar-Manager und freuen sich, dass sie mit günstigem Einkauf, cleveren Börsegeschäften, Wetter-Satelliten, Lagerhäusern und kontrolliertem Verkauf ihrer Kakaomasse an die Konsumgüterindustrie ihren Millionen-Bonus erhöhen. Die Eigentümer der drei Marktführer Marry Callebaut, Cargill und Olam dürfen sich auf Dividenden freuen, die höher sind als die Bildungsbudgets der Produzentenländer. Die europäischen Konsumenten, von der Kochschokolade bis zu belgischen Pralinen, zahlen mit und schmieren die Butter auf das Brot einiger weniger.

Und geopolitisch betrachtet verbreiten sich in diesen afrikanischen Ländern autokratische Systeme aus Russland und China, mit dem simplen Argument: Ungerechter als in der jetzigen Situation, die von US- und Europa-Konzernen erfunden und gelebt wird, kann es mit uns auch nicht sein, vielleicht sogar besser.

Kakao ist exemplarisch eine bittere Frucht.

Was ist Kakao eigentlich?

Der Kakaobaum,  „Theobroma cacao“, übersetzt mit „Essen der Götter“, gehört zur Familie der Malvengewächse. Die Gattung umfasst rund 20 Arten. Die Kulturpflanze ist etwa 5300 Jahre alt und wird erstmals im Amazonas-Becken (heute zwischen Ecuador und Kolumbien) kultiviert. Sie breitete sich schnell nach Mittelamerika aus. Bei den Maya, danach den Azteken genoß der Kakao hohes Ansehen. Die Azteken nannten ihr Gebräu aus Kakao mit Pfeffer und Früchten „Xocolatl“, bitteres Wasser. Aus dem Wort entstand unsere Schokolade.

Um 1820 brachte die damalige See- und Kolonialmacht Portugal den Kakaobaum von Südamerika nach Westafrika, wo er sich rasch verbreitete.

Aus den Fruchtschoten des Kakaos wird der Samen, der Bohnen ähnelt, fermentiert und getrocknet. Die werden zu Kakaopulver vermahlen. Das entschälte Fruchtfleisch kann zu Kakao-Saft verarbeitet werden, wird aber überwiegend einfach weggeschmissen und bleibt (leider) ungenutzt. Die Schalen können zerkleinert als – hochwertiger – Dünger genutzt werden, aber ebenfalls großteils weggeworfen. Die Schale eignet sich auch gut für Tee.

Jährlich werden etwa fünf Millionen Tonnen Kakao geerntet. Westafrika hat mit 70 Prozent den größten Anteil an der weltweiten Kakao-Produktion, aber auch in Südamerika und vor allem Asien (Indonesien) wird in den tropischen Regionen der Kakao-Anbau enorm forciert.

Hinweis zu den Kakaopreisen

P.S. Der Kakaopreis an der Börse von 12.000 Dollar je Tonne, der die Welt in Aufregung versetzte, war ein spekulativer Ausreißer für wenige Tage im April. Der aktuelle Preis der sogenannten Kakao-Futures liegen für Dezember 2024 (also während der Haupternte) bei 5300 Dollar je Tonne. Für die Frühjahrsernte 2025 (Juli-Kontrakte) liegt der Preis bei 4300 Dollar. Tendenz: fallend.

Die staatliche Kakao-Behörden der Elfenbeinküste und Ghana setzten mittlerweile den Verkaufspreis für die Bauern der kommenden Herbsternte 2024 mit umgerechnet 2500 Dollar fest. Das ist immerhin eine deutliche Erhöhung, liegt aber deutlich unter den Börsepreisen, die für die Schokoladeindustrie und Konsumenten bestimmend sind. Für die Elfenbeinküste und Ghana ist das Kakao-Geschäft wesentlicher Bestandteil der Volkswirtschaft, sowohl als Arbeitgeber als auch als Devisenbringer.

Wertschöpfung ja, aber von wem?

PPS: Anbau, Verarbeitung und Verbreitung des Kakao folgt der Nachfrage, es wird in diesem Artikel nicht eine funktionierende Wertschöpfungs-Kette in Frage gestellt. Die beschriebenen Unternehmen erfüllen darin notwendige Aufgaben. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob es immer die dieselben Unternehmen sein müssen. Es geht also um einen nicht funktionierenden Markt. Wenn einige wenige Marktteilnehmer alle Ressourcen in der Hand haben, spricht man von Oligopol, und das ist für Wettbewerbs- und Konsumentenschutz-Behörden sowie – in diesem Fall – von Bauern-Vertretungen sehr wohl eine Frage. Da all diese Behörden national organisiert sind, während die Agrar-Konzerne global agieren, ergibt sich eine beträchtliche Lücke.