Forum Alpbach – und was gerade den Bach runtergeht
von Reinhard Göweil
Die Wirtschafts- und Finanzgespräche beim Europäischen Forum Alpbach 2019 waren so richtig österreichisch: Gute Stimmung, schlechte ökonomische Neuigkeiten. Bei famosen Perspektiven kann ja jeder gut aufgelegt sein, der Österreicher ist es immer – irgendwie jedenfalls. Was also wurde gesagt?
Andreas Treichl offenbarte ungeplant sein ökologisches Über-Ich, als Grüner geht er sonst nicht durch. Da sein Widerpart, der Philosoph David Precht wegen Zores am Münchner Flughafen durch Abwesenheit am Podium glänzte, meinte Treichl, wenn der den Zug genommen hätte, wäre er schon da. Was nicht nur angesichts der Entfernung München – Alpbach (Luftlinie 91 Kilometer) richtig ist, sondern auch CO2-technisch korrekt. Der Applaus gehörte ihm zu Recht.
Österreich braucht einen Kapitalmarkt, der seinem Reichtum entspricht
Was er dann sagte, war nicht so witzig. In den kommenden zehn (10!) Jahren, wenigstens, werden die Zinsen im Euro-Raum kaum steigen. Der Aufbau von privatem Vermögen mittels Zinsgewinn bleibt der jungen Generation daher verwehrt, im Gegensatz zu älteren und früheren Generationen. Und da Österreich auch keinen herzeigbaren Kapitalmarkt hat, der größere Mengen von Kapital aufnimmt, weil ihm Breite und Produkte fehlen, fehlt auch die Möglichkeit, an wirtschaftlichen Erfolgen teilzunehmen und sich so langfristig etwas zu ersparen.
Das ist niederschmetternd, vielleicht blieben deswegen Nachfragen aus dem – durchaus jungem – Publikum aus. (Dass der Kapitalmarkt-Ausbau in jedem Parteiprogramm für die bevorstehende Wahl fehlt, ist auch niederschmetternd.)
Helikopter-Geld oder die Überschreitung des 38. Breitengrades nach Norden
Tags darauf meinte der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) und Mitglied des EZB-Rates Ewald Nowotny, dass es eine „akademische Diskussion“ darüber gibt, ob sich die Zentralbank nicht direkt an Unternehmen und Konsumenten wenden solle. Allein die Banken mit Liquidität zu versorgen, habe sich in Krisenzeiten nicht so bewährt wie geplant. Die Banken nahmen das Geld, ohne es an die Firmen für Investitionen weiterzugeben. Das wird „Helikopter-Geld“ genannt, weil die Lufthoheit der Zentralbanken genutzt würde, um Geld an alle abzuschmeißen. Bisher sind sie ja die Tankflugzeuge der Banken.
„Europa hat den Babysitter USA verloren“
Nun, die EZB hält seit Jahren den Zinssatz bei null. Wer deutsche, österreichische oder Schweizer Anleihen kaufen will, hat mittlerweile Negativzinsen – zahlt also eine Gebühr, um Schulden zu kaufen. Die EZB hat zudem seit 2009 Anleihen gekauft, auch von Unternehmen. Insgesamt 2500 Milliarden Euro macht dieser Bestand in der Zentralbank mittlerweile aus, das sind 21 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung der 19 Euroländer. Eigentlich hätten diese Instrumente von Privaten gekauft werden sollen. Gut, die Krise verlangte unkonventionelle Maßnahmen. EZB-Chef Mario Draghi setzte sie – und rettete damit wohl den Euro, da die Politik versagte.
Doch daraus nun abzuleiten, dass sich die Zentralbanken direkt an die Verbraucher wenden, ist schon ein – sagen wir – kühner Schritt. Sollte dies der Fall sein, können wir Banken gleich abschaffen. Und übrigens auch die Marktwirtschaft. Wenn es eine zentrale Stelle in Europa gibt, die Geld druckt und gleichzeitig an alle verteilt und dazu auf ihre Unabhängigkeit pocht – das hört sich a bissi nordkoreanisch an, mit Verlaub gesagt.
Wir sind aber wieder zurück südlich des 38. Breitengrades, also in Alpbach. Dort sprach im selben Veranstaltungsreigen der ehemalige Chef der EZB, Jean-Claude-Trichet. Er ist jetzt Vorsitzender des europäischen und einflussreichen Thinktanks Bruegel, mit Sitz in – erraten- Brüssel. Trichet, mit all seiner Erfahrung und seinem Wissen, macht sich auch Sorgen. Erstens weiß er nicht genau, warum die Inflation so niedrig ist. Das teilt er mit allen aktuellen Zentralbank-Chefs der Welt, was die Sache nicht besser macht, aber für die Expertise von Trichet spricht.
Trichet macht sich – das ist wirklich interessant – Sorgen um die USA. Er forderte in Alpbach, dass sich Europa stark von den USA abkoppeln müsse. Wenn es eine Rezession in den USA geben sollte, würde Europa darunter extrem leiden, meinte er – verkürzt gesagt. Die anerkannte italienische Ökonomin Lucrezia Reichlin, die aktuell als Finanzministerin in einer neuen italienischen Regierungs-Koalition gehandelt wird, sagt es in Alpbach deutlicher: Seit Trump hat Europa den „Babysitter“ USA verloren.
„Central banks are not the only game in town“
Jean Claude Trichet
Dollar & Trump, zwei Reiter der Apokalypse
Nun hat Trichet schon als EZB-Chef nie Klartext gesprochen. Es ist also notwendig die Bedeutung hinter den gesagten Worten zu erahnen. Diese Bedeutung gibt uns – da war er EZB-Chef – der Herbst 2008. In der Finanzkrise damals hörten die Banken weltweit auf, sich gegenseitig Devisen zu leihen. Da der Dollar die mit Abstand wichtigste Währung ist, gingen den europäischen Geschäftsbanken damals die „greenbacks“ aus. Sie wandten sich an die EZB. Der Bedarf überstieg 2008 die Dollar-Reserven. EZB und US-Notenbank vereinbarten damals eine wechselseitige Vereinbarung, sich unbegrenzt mit Dollar und Euro zu versorgen. Im Oktober 2008 flossen in nur einer Woche 850 Milliarden Dollar vor allem an EZB, Bank of England und Schweizerische Nationalbank. Auch damit wurde der Zusammenbruch großer Banken in Europa verhindert.
Ein Schock für die EZB, ein Schock für die nicht-amerikanische Welt.
Nun Trump. Was, wenn die Unabhängigkeit der Fed aufgelöst wird, und der US-Präsident jemand installiert, der seinen Wünschen folgt? Was tun, wenn dann den Europäern keine Dollar mehr zur Verfügung gestellt werden? Auch diese Fragen stellte Lucrezia Reichlin in Alpbach.
Trotzdem freuten sich alle dort, irgendwie. Der Sommer war schön, Klimawandel bedeutet in vielen Teilen Europas auch lang anhaltende Bade-Temperaturen. Das Leben ist doch schön.
Wirtschaftsdaten machen wenig Hoffnung
Jetzt geht die Wirtschaft erst einmal nach Süden, die Industrie befindet sich – laut OeNB-Barometer – bereits in einer leichten Rezession. Die guten Zahlen heuer leben vom ersten Halbjahr. Und wenn ein Notenbank-Gouverneur – wie Ewald Nowotny an seinem letzten Arbeitstag – versucht zu erklären, es wird ja eh nicht so schlimm, ist „fasten your seat belt“-Modus angesagt. Schwere Turbulenzen.
Es wird also kälter, ökonomisch betrachtet.
Ohne eine gemeinsame EU- Antwort darauf wird es keinen Ausweg geben, der aufrechterhalten kann, was Europa ausmacht. Denn es sind nicht befürchtete Migrations-Ströme, die über Europas Zukunft entscheiden, sondern es ist Wirtschaft & Währung.
Das haben die letzten Tage vom Europäischen Forum Alpbach 2019 gezeigt. Freiheit und Sicherheit war das Thema. Unfreiheit und Unsicherheit waren die Antworten. Vielleicht fällt ja Andreas Treichl was ein, wenn er 2020 in der Erste-Stiftung endlich nicht mehr Banker sein muss, und David Precht dann im Zug trifft, oder nächstes Jahr in einem immer wärmer werdenden Alpbach.