Diese Website verwendet Cookies, um bestimmte Funktionen zu ermöglichen.
Mit der Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden. Alle Details finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Erstellt am 08.11.2021

EZB macht Banken zum Klimaretter

von Reinhard Göweil

„Eine Untersuchung der von bedeutenden Instituten veröffentlichten Informationen zu
Klima- und Umweltrisiken zeigt, dass es nur wenige, unterschiedliche
Offenlegungspraktiken gibt. Der Offenlegungsgrad korreliert dabei mit der Größe: je
größer das Institut, desto umfassender auch die bereitgestellten Informationen. Von
den Instituten, die Angaben zu Klima- und Umweltrisiken machten, sind nur sehr
wenige transparent im Hinblick auf die angewandten Definitionen und Methoden. Nur
sehr wenige Angaben der Institute entsprechen den Empfehlungen…“

Naturschutz als Stabilitätsziel

Dieser Befund der Bankenaufsicht in der EZB führt im März 2022 nun einem großen „Klima-Stresstest“ bei europäischen Banken. Damit werden die Banken endgültig neben dem Finanz- auch zum Öko-Intermediär. Die klimabedingten Ausfalls-Risken sollen geschärft und geprüft werden, vor allem sollen die Führungskräfte der Banken für das Thema sensibilisiert werden. Die Idee klingt bestechend.  Immerhin will die EU bis 2027 an die 1800 Milliarden Euro für ihren „Green Deal“ ausgeben. Eine kohlenstoffarme Kreislauf-Wirtschaft sei das Ziel, so die EU-Kommission. Konkret: Bis 2050 soll die EU netto treibhausgas-emissionsfrei wirtschaften, das Wirtschaftswachstum vom Ressourcen-Verbrauch entkoppeln und dabei niemand in den Regionen im Stich lassen. Das ist das Ziel, um der globalen Klimakrise entgegenzuwirken.

Niemand kann dagegen sein.

Und auch die EZB reagiert darauf. Neben ihren Stabilitätszielen im monetären Bereich gesellt sich nun auch ökologische Stabilität zu den Aufgaben der mächtigen Zentralbank. Daher also der Klima-Stresstest. Wie sind Banken auf klimabedingte Ausfälle vorbereitet und wie wollen sie diese verhindern? Das gilt es zu beantworten.

Lieferketten müssen Nachhaltigkeit nachweisen

Und damit beginnen die Probleme. Denn die Finanzinstitute teilen nun ihre Kredit-, Beteiligungs- und Wertpapier-Bestände in klimaverträgliche und nicht klimaverträgliche Einheiten ein. Betroffen davon sind alle Unternehmen in Europa, die 250 Mitarbeiter haben und/oder 40 Millionen Jahresumsatz machen. Für einen Energie-Produzenten, der beispielsweise ein Gas-Kraftwerk bauen möchte, bedeutet das erhebliche Probleme in der Finanzierung. Banken werden nachfragen, welchen „carbon-footprint“ das hinterlassen wird und wenn der üppig ausfällt, wird so manche Bank sagen, das finanzieren wir nicht.

Für Industrie- und Bau-Unternehmen, aber auch Handelsketten sind die herauf dräuenden Bestimmungen derzeit unabsehbar. Denn sie müssen auch bei ihren größeren Lieferanten sicherstellen, dass die kohlenstoffarm zuliefern. Beispiel: Wenn die Buwog städtische Wohn-Immobilien entwickelt, die von der Strabag gebaut werden, muss am Ende Perlmooser nachweisen, wie es den Beton für die Strabag herstellt, sonst kriegt die Buwog Probleme bei der Finanzierung dieser Wohnhausanlagen.

Wenn Rewe in ihren Billa-Supermärkten Lieferanten listet, werden die ebenso klimaneutrale Produktion bestätigen müssen, sonst gibt es keine Finanzierung dafür – und die Lieferanten werden eben nicht gelistet.

Viele Öko-Ratingagenturen zerkochen den Brei

Um das Problem noch größer zu machen: Wer klimaneutral wirtschaftet, kann sich – wie bei der Finanzierungskraft – eines Ratings bedienen. Das Unternehmen wird von einer Ratingagentur geprüft und kann damit seine ökologische Unbedenklichkeit nachweisen. Allerdings gibt es derzeit – am Beginn dieser Entwicklung – einen ungeheuren Wildwuchs. Mehrere Dutzend Ratingagenturen vergeben klimaverträgliche Noten, aber alle arbeiten nach unterschiedlichen Kriterien.

Ein Beispiel, das Rewe beim diesjährigen „Alpbacher Finanzsymposium“ (siehe auch link am Ende des Artikels) brachte: Eine Ratingagentur bescheinigt Tesla nur das beste für seine E-Autos, eine andere reiht Tesla weit nach hinten – wegen des Ressourcenverbrauchs für die Batterie.

An wen können sich die Banken und in Folge die Unternehmen halten? Diese Frage kann derzeit niemand beantworten, es gibt keine einheitlichen Definitionen, was diese Öko-Ratingagenturen zu berücksichtigen haben.

Das Beispiel wäre beispielsweise für Leasing-Unternehmen katastrophal. Wer ein Auto least, ist nicht Eigentümer. Das Fahrzeug bleibt im Eigentum der Leasing-Gesellschaft. Für die macht es aber einen erheblichen Unterschied in der Finanzierung, ob die Tausenden E-Autos künftig als klimagünstig oder nicht eingestuft werden.

ESG lautet das Kürzel

Das alles ist lösbar, wie auch bei den Basel-Kapitalvorschriften, aber es ist halt noch nicht gelöst. Die Regulierung läuft der marktwirtschaftlichen Umstellung diesmal voraus. Schon 2024 müssen Unternehmen, die als KMU gelten, ihren „carbon footprint“ in Jahresabschlüssen nachweisen, wenn sie am Finanzmarkt tätig sind. Sei es als Kredit, sei es als Anleihe oder Börse-Notierung der Aktie. Unter Jahresabschlüssen gibt es einen Bestätigungsvermerk des Wirtschaftsprüfers, und der wird sich – polemisch ausgedrückt – wegen eines zerstörten Biotops nicht haftbar machen wollen.

 

Auf die Finanzinstitute, mehr noch auf die Unternehmen, kommen mit dem „green deal‘“ nicht nur EU-Fördergelder, sondern auch erhebliche Aufwandspositionen zu. ESG, so lautet das englische Kürzel:  Environmental Social Governance.

Umwelt, Soziales, transparente Führung bzw. deren Nachweis, das müssen viele Unternehmen, nicht nur Banken, in den kommenden Jahren offenlegen. Weithin unterschätzt wird der Bereich „Governance“: Wer am Kapitalmarkt tätig ist, oder dessen Bank ist es, wird Lobbyismus ab 2024 im Jahresbericht veröffentlichen bzw. vorlegen müssen. Auch das wird nicht jedem Unternehmen gefallen, vom Transparenzgedanken ist es zu befürworten. Aber wenn das so kommt, wird wohl auch das Amtsgeheimnis fallen müssen. Es sollte vollkommen ausgeschlossen sein, dass Unternehmen stärkeren Transparenz-Regulierungen unterliegen als öffentliche Stellen und politische Institutionen, dies als Anmerkung.

Ein weiteres Statement der Bankenaufsicht in der EZB: „Eine gemeinsame Umfrage der EZB und der EBA ergab, dass Institute die Wesentlichkeit von physischen Risiken und von Transitionsrisiken weitgehend anerkennen und sich darüber im Klaren sind, dass es immer wichtiger wird, Klima-
und Umweltrisiken zu prüfen und in ihre Risikomanagementprozesse einzubeziehen.“

EU will Goldstandard bei Öko-Regeln werden

Das ist notwendig, ob es gut ist, wird sich weisen. Die EU meint, dass sich ihre strikten Regeln gemäß ihrer wirtschaftlichen Stärke auch international durchsetzen. Das muss nicht so sein, wie die kuriose britische Regierung gerade zeigt. Wenn also die EU ihre Regularien so durchzieht, droht durchaus die Abwanderung von Unternehmen in andere Wirtschafts-Regionen in Asien und Südamerika, die es mit dem Klimaschutz nicht ganz so ernst nehmen. Denn der daraus resultierende Kosten-Vorteil geht natürlich zu Lasten des europäischen Wohlstands, aber vor allem auf Kosten der Umwelt. Die Erde und ihr Klima hat wenig davon, wenn Europa emissionsfrei ist, während auf anderen Kontinenten weiterhin Treibhausgase ausgestoßen werden. Europas „Schadstoff-Anteil“ liegt – die Nicht-EU-Länder wie Großbritannien, Norwegen, Schweiz und der Balkan miteinbezogen – bei etwa zehn Prozent, weit hinter China und den USA. China verweist allerdings auf seine große Bevölkerung und rechnet vor, dass pro-Kopf die klassischen Industriestaaten hier weit mehr zum Klimawandel beitragen. Ähnlich argumentiert Indien. Dieser gordische Knoten konnte bisher nicht gelöst werden, weshalb es allgemein große Zweifel gibt, ob das Pariser Klimaziel, die Erderwärmung bei 1,5 Grad (Basis 1990), noch zu erreichen sein wird.

Genau das macht die EZB nervös. Klima-Katastrophen an den Küsten, etwa durch den steigenden Meeresspiegel, würden die Wirtschaft empfindlich beeinträchtigen, damit einher gehen Milliarden-Ausfälle der Finanzinstitute, die – wie es so schön heißt – systemrelevant sein können und vermutlich auch sind. Was die Unternehmen allerdings irritiert ist der aktuelle Wildwuchs an Einschätzungen und Messgrößen.

Das betrifft auch Groß-Anleger wie Pensionskassen, Versicherungen, Investmentfonds. Auch sie müssen aufpassen, wo und bei wem sie investieren: braune Wirtschaft pfui, grüne Wirtschaft hui. Wer aber ins Töpfchen und wer ins Kröpfchen kommt, das ist noch nicht klar genug definiert.

Atomenergie ist CO2-frei, aber auch nachhaltig?

Das plakativste Beispiel dafür ist sicherlich die Atomenergie. Atomkraftwerke gelten in unseren Breiten als nicht nachhaltig. Die immense Bedrohung bei Störfällen (Three-Mile-Island, Tschernobyl, Fukushima) und deren Folgen sowie der ungeklärten endgültigen und jahrhundertelangen Lagerung von ausgebrannten Brennstäben dienen als gar nicht schlechte Beweise dafür.

Allerdings: Sie sind effiziente und günstige Stromproduzenten und emittieren Null CO2. Angesichts des Stromhungers der Welt und der De-Karbonisierung wird es recht schwierig auf Atomstrom zu verzichten. Weltweit soll sich der Stromverbrauch bis 2050 fast verdoppeln, in der EU und auch Österreich wird ein Anstieg von 20 Prozent prognostiziert. Verkehr, Haushalte und Dienstleistungen treiben diese Entwicklung. Die EU erwartet, dass es auch 2050 ohne Gaskraftwerke nicht gehen wird. Länder mit hohem Atomstrom-Anteil wie Frankreich schöpfen aus der Klimarettung Profit. Da Atomstrom kein CO2 emittiert, müssen diese Länder deutlich weniger Geld für die CO2-Zertifikate ausgeben als etwa das vom Energieträger Kohle bestimmte Polen. Das bedeutet einen Preisvorteil bei gleichzeitig hoher Verfügbarkeit von Strom.

Wenn also Atomstrom als klimagünstig eingestuft wird, dann können Investoren und Finanzinstitute Atomkraftwerke (die technisch immer kleiner und dezentraler werden) weiterhin tadellos finanzieren, Kohlekraftwerke aber nicht mehr. Eine solche Entwicklung würde den Ausbau von Atomstrom noch anfeuern, da diese Art der Energieerzeugung unter die ESG-Regeln fallen würde. Dies ist politisch in der EU stark umstritten, Österreich hat eine gänzlich andere Position als Frankreich.

Es droht Öko-Bürokratie

Für Unternehmen, die sich am Kapitalmarkt bewegen, wäre jedenfalls eine einheitliche Regulierung begrüßenswert. Wie die Finanzchefin im Vorstand der Papiergruppe Heinzel, Barbara Potisk-Eibensteiner, beim Finanzsymposium Alpbach Anfang Oktober an die Adresse aller Banken sagte: „Was immer ihr da macht, bitte macht ein gemeinsames Formular.“

Wenn dieser fromme Wunsch bloß kein Märchen bleibt…

Peter Lennkh