Ein Plädoyer für die Wiener Börse
von Reinhard Göweil
In Österreich wird gerne über die ungleiche Verteilung der Vermögen diskutiert. Mit Recht, denn in kaum einem anderen entwickelten Industrieland ist diese Schieflage so eklatant. Die linken Ökonomen erkennen darin die Berechtigung einer Erbschaftsteuer. Die konservativen Ökonomen orten den Ursprung an der überwältigenden Bedeutung des öffentlichen Pensionssystems und der geringen Eigentums-Dichte bei Wohnraum. Wie meist in der Ökonomie spielen hier politische Vorlieben eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Die Idee, möglichst viele Bewohner dieser Republik Österreich als Eigentümer am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben zu lassen, gerät dadurch leider in Vergessenheit. Sehr anschaulich ist das an der jüngsten Statistik der Wiener Börse zu sehen. Österreichische Privatanleger, Menschen wie du und ich, halten am heimischen Aktienvermögen 18 Prozent. Also am Streubesitz, und der ist gerade einmal die Hälfte des gesamten Aktienvermögens, das umständlich „Marktkapitalisierung“ genannt wird. Die liegt insgesamt bei 112 Milliarden Euro, doch von dieser Zahl später…
Das bedeutet, dass alle vielbesungenen Kleinanleger miteinander gerade einmal Aktien im Wert von zehn Milliarden Euro halten. Die Dividendenrendite in Wien liegt bei drei Prozent. Aktien, also der Besitz an einem Unternehmen, vermehrte das Vermögen 2018 aller Kleinanleger um 300 Millionen Euro. Gemessen an der Lohnsumme aller Unselbständigen, also der potenziellen Kleinanleger, ist dies knapp mehr als ein Promille, darf also landläufig als „Lercherlschas“ bezeichnet werden.
Und um drastisch zu bleiben:
Im Vergleich zur Wirtschaftsleistung Österreichs liegt der Wert aller heimischen Aktien bei knapp 25 Prozent, das ist in etwa das Niveau von Chile und Thailand. Mitte der 2000er-Jahre lag dieser Anteil in Österreich bei 45 Prozent. Seither wächst die heimische Wirtschaft deutlich stärker als das Aktienvermögen.
Woran liegt das?
Nehmen wir zur Begründung das positive Beispiel: Am Vorzeigeunternehmen voestalpine hält die Mitarbeiterstiftung etwa 15 Prozent des Aktienkapitals und ist damit nicht nur der zweitgrößte Aktionäre, sondern schützt das Unternehmen auch vor unerwünschten Übernahme-Versuchen.
In einer unheiligen Allianz aus Gewerkschaften und Industriellen wurde das Instrument der Mitarbeiterbeteiligung bisher sträflich unterschätzt. Der aktuelle Streit um die Aktionärsstruktur der Drei-Banken-Gruppe (Oberbank, BKS, BTV) hätte sich vermeiden lassen, wenn Gewerkschaften und mächtige Industrielle bei Kapitalerhöhungen an die eigenen Mitarbeiter gedacht hätten.
Für eine solche Mitarbeiterbeteiligung würde sich das aktuelle KMU-Segment der Wiener Börse anbieten, weil es die Unternehmen zu Transparenz und Auskunftspflicht führt.
Bei einem Börsegang ist sogar möglich, Mitarbeitern bevorzugt Aktien zuzuteilen, auch mit einem kleinen Preisabschlag. Es ist sogar eine steuerliche Begünstigung vorgesehen. Das alles ist möglich.
Es unterblieb, weil sich niemand politisch ernsthaft mit diesen Möglichkeiten der Börse auseinandersetzt.
Gewerkschaften, die Kapitalmarktinstrumente grundsätzlich verteufeln und Unternehmer, die niemand mitverdienen lassen wollen. Das ist eine der Mixturen, die Wachstum behindern, Arbeitslosigkeit hoch halten und breit gestreutes Eigentum unterbinden.
Denn Mitarbeiter, die an ihrem Unternehmen beteiligt sind, werden sich wohl für Aktien generell interessieren. Und statt Milliarden unverzinst am Sparbuch liegen zu lassen, wäre die derzeitige Dividenden-Zahlung attraktiver, wenn die Aktien weder steigt noch fällt.
Was auch noch dazu gehört?
Banken, die bei ihrer Gebühren-Gestaltung darauf Rücksicht nehmen. Es gibt Banken, die bei Eröffnung eines Giro-Kontos Gutschriften buchen, aber es gibt keine Bank, die bei Eröffnung eines Wertpapier-Depots eine Aktie gutschreiben, nicht einmal ihre eigene. Das liegt vor allem wohl an der Ideenlosigkeit von Banken, weniger an ideologischen Aspekten.
Österreich ist kein Aktionärs-Land, obwohl die Wiener Börse mit Gründungsdatum 1771 zu den ältesten Wertpapier-Börsen der Welt zählt. An dieser Tradition anzuknüpfen, würde dem Wirtschafts-Standort gut tun und dem unternehmerischen Denken im Land.