Ein neuer Agrar-Megakonzern entstand ohne großes Aufsehen
von Reinhard Göweil
Einer der großen Agrarkonzerne der Welt, Bunge, hat den Kauf des Konkurrenten Viterra endgültig finalisiert. Damit schnellt der Umsatz von Bunge von knapp über 70 Milliarden Dollar auf 120 Milliarden Dollar – und ist damit klare Nummer 2 am Welt-Agrarmarkt hinter Cargill (180 Milliarden). Bunge sitzt in St. Louis, Missouri und ist weltweit tätig. Der in Kanada vor 100 Jahren aus Agrargenossenschaften gegründete Agrarkonzern Viterra ist vor allem weltweiter Getreidehändler und wurde 2013 von einem anderen Rohstoffkonzern, Glencore, übernommen. Bunge lässt sich den Machtzuwachs einiges kosten. Zwei Milliarden werden bar bezahlt, dazu werden die Schulden von Viterra in Höhe von zehn Milliarden übernommen. Und Bunge gibt im Wert von 6,2 Milliarden Aktien an Glencore, der mit 30 Prozent größter Einzelaktionär des gemeinsamen Konzerns wird. Gesamtvolumen des Deals: 18 Milliarden Dollar.
Ein 18-Milliarden-Deal mit stillen Wettbewerbsbehörden
Die in der Schweiz sitzende Glencore Group ist der größte Bergbau-Konzern und Metallhändler der Welt und aus sozialer und ökologischer Sicht hochumstritten. Im Zuge der Bergbau-Akquisitionen in Afrika, Asien, Südamerika kamen auch agrarische Rohstoff-Unternehmen dazu, die Glencore bei Viterra bündelte. Nun wurde das Geschäft an Bunge übergeben, das die unternehmerische und strategische Führerschaft übernimmt. Bei Mais und Soja haben Bunge/Viterra Weltmarktanteile von 25 bzw. 21 Prozent. Der neue Agrarkonzern ist in 40 Ländern tätig und hat insgesamt in der Gruppe 70.000 Mitarbeiter. Und die Wettbewerbsbehörden der Welt schauen zu, Kanada hat schon zugestimmt.
Denn die Agrarkonzerne sorgen für die Versorgung mit Nahrungs- und Lebensmittel aller Art – und pflegen exzellente Verbindungen zur Politik in den großen Wirtschaftsmächten der Welt. Ob in den USA, der EU, Australien, Brasilien oder Argentinien. Auch zu Ländern, die weniger durch Demokratie und allgemeinen Wohlstand als vielmehr durch Rohstoffreichtum auffallen – etwa in Afrika, Asien oder Zentralasien.
Neue Transparenz wegen Börsenotierung
Anthropocene Fixed Income, eine non-profit-Gesellschaft, die sich „Green Investments“ in Aktien und Anleihen verschreibt, kommt bei der Fusion von Bunge und Viterra zu einem differenzierten Bild. Positiv wird in der Analyse vermerkt, dass die in New York börsenotierte Bunge nun auch das reichlich undurchsichtige Geschäft von Viterra ans Licht der Öffentlichkeit bringt. Auf der anderen Seite steht, dass nun Bunge auf der Liste der Abholzungs-Sünder mit dem US-Mitbewerber Cargill ganz oben steht. Bunge/Viterra ist Nummer 1 bei Ölsaaten in Südamerika, vor allem Soja, aber auch Sonnenblumen und Raps. Der Konzern ist in dieser Analyse für 77.000 Hektar Abholzung von Tropenwälder in Brasilien, Paraguay und Argentinien verantwortlich.
Investoren aufmerksamer als Konsumenten
Der neue Agrar-Superkonzern unterstützt zwar finanziell Projekte, um die Abholzung zu reduzieren und nachhaltige Produktion von Soja zu ermöglichen, und die Geschäftsberichte benutzen den Begriff Nachhaltigkeit inflationär, die Wirklichkeit schaut anders aus: „Beide Unternehmen (Bunge, Viterra) haben nach wie vor signifikanten Aufgaben, um eine nachhaltige Ölsaaten-Produktion tatsächlich zu erreichen“, so die Analyse von Anthropecene.
Kritische Bewegungen wie ATTAC vermuten hinter der öffentlichen Zurschaustellung von Nachhaltigkeit Kalkül. Die großen Agrar-Konzerne wie nun Bunge/Viterra stehen unter besonderer Beobachtung von Ökologie-Bewegungen jeder Art. Also unterstützt der neue Riese am Markt alle möglichen UN- und privaten Organisationen, die sich für nachhaltige Landwirtschaft einsetzen. Das passiert aus zwei Gründen: Erstens ist der „Klima-Fußabdruck“ des Konzerns enorm. Zweitens haben Großinvestoren wie BlackRock begonnen, definierte Umwelt- Sozial- und Korruptions-Standards in ihre Investitionsentscheidungen einfließen zu lassen. BlackRock, der mit 10.500 Milliarden Dollar weltweit größte Vermögensverwalter, hatte etwa den Umweltbericht des nicht gerade zimperlichen Rohstoff-Konzerns Glencore erst im Herbst 2023 schlicht abgelehnt. Was den finalen Verkauf des Agrargeschäfts an Bunge eher beschleunigt haben dürfte.
Bunge/Viterra verarbeiten mehr als die EU verbraucht
Einigermaßen verwunderlich ist die bisher ausgebliebene Reaktion von Wettbewerbs- und Agrarbehörden weltweit. Dass die USA nicht so genau hinschauen, mag politisch verständlich sein, ist aber wettbewerbsrechtlich ein Armutszeugnis. Der US-Konzern Bunge hat seine Macht erheblich erweitert, was den USA im Rohstoffgeschäft Einfluss erweitert. Aber gleichzeitig wird Bunge/Viterra schlicht durch seine Marktmacht im weltweiten Getreide- und Ölfrüchte-Geschäft kleinere, lokale Unternehmen aus dem Markt drängen. Unternehmen, die vielleicht bessere Ideen haben. Und der neue Agrarkonzern wird natürlich auch in der Ernährungs-Innovation ein neue Rolle spielen. Schon jetzt haben diese großen Agrarkonzerne eigene private-equity-Abteilungen bzw. – Töchter, die Start-ups in dem Bereich kaufen. Da geht es um technologische Neuerungen im Pflanzenbau und der Tierhaltung, aber auch um Konzepte wie fleischloses Fleisch, Proteine aus Insekten, etc. Wirtschaftsforscher haben längst festgestellt, dass in Branchen mit hoher Marktkonzentration deren Innovationsgeschwindigkeit nachlässt. Im Klartext: Bessere Konzepte werden von den finanzstarken Konzernen vom Markt weggekauft und selbst nach Maßgabe entwickelt. Das schützt das eigene Geschäftsmodell, verringert aber die Dynamik. Für all diese Parameter gibt es eigentlich das Wettbewerbsrecht.
Rohstoffgeschäft als Blackbox
Aus eher unerklärlichen Gründen funktioniert das im Rohstoffgeschäft nicht. In Bergbau/Metall sind es fünf Konzerne, die sich 80 Prozent des Marktes teilen. Im Agrar-Rohstoffgeschäft sind es sechs Konzerne. Nummer 1 ist nach wie vor Cargill. Die starke neue Nummer 2 ist nun Bunge/Viterra. In Österreich betreibt der Konzern die Raps- und Sonnenblumen-Mühle in Bruck/Leitha, am ehemaligen Standort der Zuckerfabrik. Die Verarbeitungskapazität liegt bei fast 400.000 Tonnen, das alleine ist deutlich mehr als Österreich jährlich verbraucht.
Die Investitionskraft der Agrarkonzerne und die vielen Ausnahmen für die Landwirtschaft im Wettbewerbsrecht spielt daher auch Bunge/Viterra in die Karten. Der neue Konzern macht im Getreide- und Ölsaaten-Geschäft so viel Umsatz wie die gesamte EU verbraucht. Das bedeutet auch eine ungeheure Macht in der Preisbildung für die Verarbeitungs-Industrie, aber auch den Bauern gegenüber. Dazwischen macht der Konzern seinen Profit.
Die Schweiz: Es ist schon wieder passiert
Bunge hat sein strategisches Zentrum in St. Louis, US-Staat Missouri, war aber steuerlich günstig auf den Bermudas registriert. Mit der Fusion wurde dieser profit-steuernde Firmensitz des neuen Konzerns in die Schweiz verlegt. Das Land spielt im weltweiten Agrar-Monopoly eine umstrittene Rolle, vergleichbar mit den Schweizer Banken früher und deren Umgang mit zweifelhaften und gestohlenem Vermögen. Die großen Rohstoffkonzerne verbergen ihre umfassenden Aktivitäten gerne in der Schweiz. 2200 Frachtschiffe dafür sind im Binnenland Schweiz registriert. Glencore, der Verkäufer von Viterra, sitzt in der Schweiz. Und die größten Rohstoffhändler, die weltweit und an der größten Börse in Chicago handeln, sitzen in der Schweiz. Etwa ein Drittel des globalen Rohstoffhandel wird über Schweizer Handelsräume abgewickelt. Dieser Transit-Handel scheint in keiner Zoll-Statistik auf, nur die Schweizerische Nationalbank weiß über die Finanz-Transaktionen Bescheid. Mit vielen der Länder, in denen diese Rohstoffhändler agieren, hat die Schweiz kein Doppelbesteuerungsabkommen. Niemand weiß also genau Bescheid. „Die Intransparenz des Schweizer Rohstoffsektors mag für Händler attraktiv sein, doch für den Ruf der Schweiz ist sie wenig förderlich“, schrieben die „Akademien der Wissenschaften Schweiz“ in einem fact sheet über den Rohstoffhandel. Deutlich mehr als 10.000 gut bezahlte Rohstoffhändler arbeiten in der Schweiz. Und sie steuern – über eigene Marina-Hubs die Frachtschiffe, über die praktisch der gesamte Agrarhandel abgewickelt wird. Bunge/Viterra verfügt über 400 dieser sogenannten Trockenfrachter.
Dass Bunge/Viterra ihren Firmensitz nun nach Genf verlegte, wo die UN-Ernährungsbhörde FAO praktischerweise einen wichtigen Sitz hat, verringert für die Schweizer Menschrechtsorganisation „Public Eye“ den Transparenzgedanken enorm, der der mit der Börsenotierung des Agrar-Riesen verbunden ist. Die stillschweigende Zustimmung der Schweizer Politik, dass der globale Rohstoffhandel bloß als monetäre Nationalbank-Statistik aufscheint und Steuer-Begünstigungen eines Binnenlandes für Reeder-Aktivitäten lassen wenigstens die Vermutung zu, dass die Schweizer Regierung gewillt ist, dem intransparenten Rohstoffgeschäft keine Prügel zwischen die Beine zu werfen.
Abertausende gut bezahlte Händler und Logistiker sorgen ja auch für Wirtschaftswachstum in der Schweiz. Nun kommt noch Bunge/Viterra zu, das seine bisherige Aktivität in Genf zur Zentrale ausbaut. 120 Milliarden Dollar Umsatz, 70.000 Mitarbeiter in der Gruppe in 40 Ländern, tätig in Anbau, Handel, Verschiffung und Verarbeitung im Agrar-Bereich.
„Unser Engagement für Nachhaltigkeit war noch nie so wichtig.“
Im Nachhaltigkeitsbericht von Bunge Global S.A. heißt es: „Unser Engagement für Nachhaltigkeit war noch nie so wichtig. Als weltweit führendes Unternehmen im gesamten Lebensmittelsystem ist es unser Ziel, überall, wo wir tätig sind, positive Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesellschaft zu haben. Die Art unserer Arbeit – die Verbindung zwischen Landwirten und Verbrauchern, um die Welt mit lebenswichtigen Nahrungsmitteln, Futtermitteln und Treibstoffen zu versorgen – erfordert ein tiefes Verständnis der Umwelt und der Marktanforderungen um uns herum. Das bedeutet, dass wir uns den Realitäten eines sich verändernden Klimas stellen und unsere Führungsrolle bei der Bereitstellung nachhaltiger Lösungen nutzen müssen, um unsere Auswirkungen auf den Planeten zu minimieren und gleichzeitig die Bedürfnisse von Verbrauchern und Gemeinschaften zu erfüllen. Wir treffen Entscheidungen in allen unseren Unternehmen auf der Grundlage ethischer Führung, Verantwortung und Umweltschutz.“
Der Aktienkurs von Bunge ist von September 2022 von 83 auf aktuell 104 Dollar gestiegen, die Dividendenrendite liegt trotzdem noch bei 2,7 Prozent. Schön für die großen US-Investoren, etwas weniger davon kam bei den Bauern auf der ganzen Welt an. Aber die protestierten vielleicht gerade gegen Renaturierungs-Pläne…