Die politische Einkommens-Elite
von Reinhard Göweil
Der SPÖ-Abgeordnete Josef Muchitsch, ein steirischer Bau-Gewerkschafter, sprach sich im Juli-Plenum des Nationalrates gegen Sozialdumping und befürchtete Pensionskürzungen aus. Sein Beispiel: Wer 1500 Euro Pension erhält, würde mit den Plänen der türkis-grünen Regierung 400 Euro brutto im Jahr verlieren. Das Beispiel beantwortete zwar nicht die Frage im Nationalrat, wer die Corona-Krise bezahlen wird, aber Herr Muchitsch stellt sich auf die Seite jener, mit denen es die Gesellschaft nicht gut meint. Das ist begrüßenswert. Nach seiner Meinung haben heute eine Million Menschen weniger Geld zur Verfügung als vor Corona. Dies zu bekämpfen sei ein Gebot der Stunde, so seine Botschaft.
Der ÖVP-Abgeordnete Alexander Melchior, Generalsekretär der ÖVP, beklagte sinngemäß bei der Debatte, wie sehr sich die SPÖ in ihrer Obfrau-Nabelschau ergeht und als politische Kraft versagt. Dass die ÖVP seit 2000 ununterbrochen in diversen Regierungen sitzt und das untere Viertel seither zehn Prozent ihres Einkommen netto verloren hat, sagte er nicht. Er sprach im Nationalrat – wie schon der Bundeskanzler davor – von einer „Aufstiegsgesellschaft“, die ermöglicht werden sollte bzw. würde. Alle sollen alle Chancen erhalten, unabhängig ihrer jeweiligen Herkunft – eine gerechte Gesellschaft. Das ist begrüßenswert.
Beide Abgeordnete zählen zur „politischen Klasse“ in Österreich. Sie erhalten zum monatlichen Abgeordneten-Einkommen von 9228 Euro monatlich in anderen Funktionen Nebeneinkümfte, die 7001 Euro monatlich übersteigen. Das muss so an die Parlamentsdirektion gemeldet werden. Beide erhalten also wenigstens 16.229 Euro brutto monatlich, laut APA sogar 20.000 Euro monatlich.
Damit gehören die beiden – so die letzt verfügbare Einkommensstatistik 2019 – zu 15.140 Menschen in Österreich, die mehr als 200.000 Euro jährlich verdienen. Das sind etwas mehr als zwei Promille aller Steuerpflichtigen in Österreich.
Bei den Abgeordneten sind es von insgesamt 183 immerhin 24, die es in diese höchste Kategorie schaffen. Das sind immerhin 13 Prozent, also ein Prozentsatz, der deutlich über dem Bundes-Durchschnitt liegt. Die Entwicklung 2020 und 2021 legt nahe, dass sich diese Schere weiter erhöht hat.
Sind solche Politiker in der Lage, die Nöte der Bevölkerung nachzuvollziehen, wenn sie einer Elite angehören, die – in unterschiedlichen Zirkeln – weitgehend untereinander bekannt ist? 15.000 Menschen in Österreich verdienen wirklich sehr gut, dazu zählen auch aktive und ehemalige Bundes- und Landespolitiker.
Nun gibt es immer wieder die Debatte, dass Politiker zu wenig verdienen. Es gibt auch die Debatte, dass Politiker in ihren Brotberufen – so sie welche haben – solche Einkommen niemals erzielen würden, und deshalb ihre Polit-Jobs mit Zähnen und Klauen verteidigen.
Beides ist richtig und falsch zugleich.
Es gibt auf Gemeinde-, Landes- und Bundesebene Politiker in Regierung und Landtag, die aufgrund ihrer Tätigkeit mehr verdienen würden. Im strategisch altbekannten 20-80-Schema sind dies die 20 Prozent. 80 Prozent schwimmen mit.
Verdienen Politiker also zu viel? In der Mehrheit ja.
Denn hier steckt eine verdeckte Parteien-Finanzierung dahinter. Viele Politiker müssen für ihre jeweilige Funktion, die vom Steuerzahler berappt wird, „Parteisteuer“ bezahlen. Ein Teil ihres Einkommens geht, weil sie das Mandat erhalten haben, an die Partei. Ein Relikt aus frühen Zeiten der Zweiten Republik, das im 21. Jahrhundert keine Rolle mehr spielen sollte. Denn es bekräftigt die – seit langem – beklagte negative Auslese im politischen Personal.
Der ehemalige zweite Nationalratspräsident und ÖVP-Politiker Univ.-Prof. Dr. Heinrich Neisser analysierte das Problem, dass ideenlose „Sitzer“ in den Parteien nach oben schwimmen erstmals in den 1990er Jahren – beim vom damaligen SPÖ-Vorsitzenden Franz Vranitzky organisierten „Dürnstein-Kreis“. Derartige parteiübergreifende „think-tanks“ gibt es nicht mehr, leider.
Das damals von Herrn Neisser beschriebene Thema ist heute aktuell wie vor 25 Jahren: Das interne System der politischen Parteien spült die Falschen nach oben.
Kommen wir zurück zum Anfang des Artikels: Sind also die tadellosen Herren Muchitsch und Melchior fehl am Platz?
Die Antwort lautet: Ja.
Der eine mag ein guter Baugewerkschafter sein, der andere ein ausgefuchster ÖVP-Stratege. Aber als Abgeordnete sind sie der Republik und ihrem Fortkommen verpflichtet, und nicht irgendwelchen Spielchen in der Einkommens-Elite Österreichs.
Noch ein paar Beispiele, bevor es konstruktiv wird: Der Vizepräsident im Bundesrat erhält monatlich 6469,60 Euro. Ein Stellvertreter eines Landtags-Präsidenten erhält 9228 Euro monatlich. Die Chefs jeweils 1000 Euro monatlich mehr. Weitgehend von inhaltlicher Gestaltung befreite Landtags-Abgeordnete erhalten 7382,40 monatlich. Davon gibt es österreichweit 440.
Das Durchschnittsgehalt in Österreich liegt bei 2100 Euro pro Monat bzw. 29.500 Euro im Jhr.
Der Großteil der Gut-Verdiener kommt aus der Politik
Wenn solche Einkommens-Diskussionen populistisch geführt werden, kommt oft das berechtigte Argument, es sei demokratiefeindlich. Das ist richtig. Demokratie kostet Geld, massig. Sie ist aber immer noch billiger als autokratische und diktatorische Regime. Denn sie hat den großen Vorteil, dass diese Systeme in Frage gestellt und im Bedarfsfall abgewählt werden können.
Kehren wir also zurück ins Hauptmotiv:
Verdienen Politiker zu viel?
Minister und Bürgermeister verdienen zu wenig, Mandatare hingegen zu viel. Sollten politische Mandate zeitlich begrenzt werden? Unbedingt. Zwei Perioden sollten reichen, das sind immerhin zehn Jahre. Es würde wieder jene in die Politik bringen, die durchaus Brotberufen nachgehen. Derzeit sind es vor allem Beamte und hauptamtliche Funktionäre, die auch politische Ämter bekleiden. Unternehmer, Bauern, Arbeiter finden sich immer weniger. Der Rückzug des Unternehmers Sepp Schellhorn aus seiner politischen Tätigkeit ist ein Symbol, freilich ein bedauernswertes.