Die „Nix-ist-fix-Doktrin“ der Steuerreform
von Reinhard Göweil
Eigentlich geht es um einen von der Statistik Austria verfassten Atlas des öffentlichen Verkehrs in Österreichs Gemeinden. Danach wird der Klimabonus ausbezahlt. 100 Euro pro Person für Wien, maximal 200 Euro pro Person etwa im Waldviertel. Bewohner in strukturschwachen Regionen bekommen die CO-Steuer mit höheren Beträgen ersetzt, sagt die Regierung. Regionen, die sich besonders on den öffentlichen Nahverkehr eingesetzt haben, werden bestraft, der Bonus sei vielmehr ein Malus, der vor allem die städtische Bevölkerung trifft, die nicht alle in Einfamilienhäusern wohnen, sagen die Kritiker. Beide haben recht. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig hat aber ein bisserl rechter, weil richtig einwandte, dass bei der „ökosozialen Steuerreform“ Länder und gemeinden nicht in die Diskussion eingebunden waren. Es sei nicht einmal klar, ob die CO2-Steuer eine Bundesabgabe ist oder eine gemeinschaftliche. Davon hätten auch Länder und Gemeinden auch was.
Damit sind wir beim sogenannten Finanzausgleich angelangt, auf den die Regierung dabei offenbar vergessen hat. Ein schwerer Fehler, handwerklich und politisch.
Am historischen Anfang des Finanzausgleichs stand eine simple Idee: Der Bund hebt die Steuern ein und verteilt sie gemäß Aufgaben an Bundesländer und Gemeinden, die in der föderalen Republik Österreich ja auch Aufgaben zu erledigen haben. Politische Feinspitze erinnern daran, dass sich in den 1950er Jahren die neun Bundesländer zur Republik Österreich zusammenschlossen, mehr an Verfassung geht gar nicht. Jedenfalls gibt es seither den Föderalismus.
Der Anfang war simpel: 60 Prozent der Steuereinnahmen blieben dem Bund, 30 Prozent den Bundesländer, zehn Prozent den Gemeinden – abgestuft nach Aufgaben. Wie alle demokratisch initiierten Gründungsdokumente keine blöde Idee.
Seither hat sich die Welt weiterentwickelt. Die Republik ist Teil der EU geworden; Spitäler müssen dem medizinischen Fortschritt entsprechen; Kanalbau und Kindergärten haben heute eine andere Relevanz als 1960. Damit wurde auch der Finanzausgleich immer komplexer. Es soll angeblich 2021 bestenfalls zwei Handvoll Experten in Österreich geben, die den komplexen Finanzausgleichs-Bestimmungen auch folgen können. Aktive Politiker gehören nicht dazu. Journalisten auch nicht, um es gleich selbstkritisch festzustellen.
Wie soll der Steuerkuchen verteilt werden?
Mit dieser Steuerreform, deren Entlastungen völlig untergehen, hat die Regierung ohne es zu wollen, die Debatte um die Verteilung des Steuerkuchens neu eröffnet. Die zweimalige Senkung der Körperschaftsteuer um „jeweils ein Pünktchen“ (O-Ton designierter IHS-Chef Lars Feld) von 25 auf 23 Prozent wird den Wirtschafts-Standort Österreich weniger bringen als die Reduktion kostet (800 Millionen).
Was bleibt ist eine sinnlose Debatte um Stadt und Land und – für die Regierung – eine neue Diskussion um die Verteilung des Steuergeldes zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Auf der Strecke bleibt dabei die eigentliche Aufgabe: Wie können wir alle klimaschädliche Emissionen reduzieren, ohne daran pleite zu gehen?
Allein aus diesem politischen Gesichtspunkt betrachtet ist die Steuerreform ein Rohrkrepierer. Und sie ist es auch aus einem recht pragmatischen Punkt betrachtet: Der Dieselpreis sprang am 5. September – wegen der Marktentwicklung, nicht wegen CO2-Steuer – bei billigen Avanti-Tankstellen von 1,24 auf 1,32 Euro. Das sind acht Cent, also in etwa das, was die CO-Steuer ab Mitte 2022 draufschlagen wird. Effekt: Null.
Schöne Neue Bürokratie
Die „Steuer-Unreform“ (O-Ton Hannes Androsch) droht auch ein bürokratisches Monstrum zu werden. Den Klimabonus zahlt das Verkehrsministerium aus, das im Gegensatz zum Finanzministerium nicht über die dafür notwendigen Daten der Bürger verfügt. Ob der also wirklich gleich zu Jahresbeginn bei allen ankommt, wird von Experten bezweifelt. Das Ministerium muss dafür eine neue Bürokratie aufsetzen, die es bei den Finanzämtern längst gibt.
Und dann wird die erste Lohn- und Einkommensteuer-Entlastung sowie die Senkung der Krankenversicherungsbeiträge unterjährig per 1. Juli 2022 in Kraft treten. Lohnverrechner in Unternehmen und Steuerberater schlagen die Hände über den Kopf zusammen, da das Jahr 2022 praktisch zweigeteilt werden muss, beim Jahresausgleich bzw. -abschluss aber als eines gilt. Dasselbe nochmal 2023, wenn wieder zur Jahresmitte Einkommen bis 60.000 Euro jährlich von 42 auf 40 Prozent Steuer abgesenkt werden.
Staatsschuld sinkt signifikant, aber wie?
Ein Fragezeichen gibt es auch bei der Entwicklung der Staatsschuld, die in absoluten Zahlen derzeit bei 340 Milliarden Euro liegt. In Prozent zur Wirtschaftsleistung sind das etwa 87 Prozent. In der jüngsten Mittelfrist-Prognose des Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO wird bis 2025 mit einer nur geringen Reduzierung auf 86 Prozent gerechnet – die angekündigten Steuer-Entlastungen von 18 Milliarden Euro gar nicht eingerechnet.
Finanzminister Gernot Blümel dagegen rechnet 2025 mit einem Rückgang der Staatsschuldenquote auf 72,5 Prozent. Wenn 2021 bis inklusive 2025 ein nominelles Wirtschaftswachstum von 20 Prozent unterstellt wird, würde das Schulden in Höhe von 330 Milliarden Euro bedeuten. Das sind zehn Milliarden Euro weniger als im August 2021.
Da bis dahin jährlich Budgetdefizite eingeplant sind und es Entlastungen geben wird, ist die Rechnung des Finanzministers nicht gerade einfach nachzuvollziehen. Blümel begründet dies mit stark steigenden Steuer-Einnahmen, was wiederum die versprochene Entlastung von 18 Milliarden konterkariert. Positiv bemerkbar macht sich die sinkende Zinsbelastung der Staatsschuld. Blümels Rechnung geht also davon aus, dass die EZB bis 2025 die Zinsen im Euroraum nicht erhöhen wird. Angesichts steigender Inflation ist dies aber nicht ausgemacht.
Tatsächlich lag der Zuwachs der öffentlichen Abgaben in den ersten acht Monaten 2021 – wegen des Wirtschaftsaufschwungs nach den Einbrüchen der Corona-Lockdowns 2020 – bei mehr als sieben Milliarden Euro. Das dämpft die Freude an den bis 2024 gestaffelten Entlastungen doch erheblich.
Welche Auswirkungen die Senkung der Körperschaftsteuer bis 2024 von 25 auf 23 Prozent bringt, ist selbst in der Industrie umstritten. So mancher hätte sich gewünscht die dafür aufgewendeten 800 Millionen Euro in den Bildungs- und Forschungsbereich zu investieren, auch wenn die Industriellenvereinigung die Senkung mit Wohlgefallen kommentierte.
„Alles ist möglich, aber nix ist fix“
Last, but not least, sind im neuen Budgetpfad so manche Herausforderungen nur kursorisch beschrieben. Ob die erhofften 3,4 Milliarden Euro aus dem EU-Aufbaufonds wirklich fließen hängt davon ab, dass die Ministerialbürokratie halbjährlich der EU Öko- und Digitalisierungs-Projekte glaubhaft liefern kann. Als „Vorschuss“ aus Brüssel sind heuer 450 Millionen Euro geflossen, die das Budget 2021 behübschen.
Und die steigenden Kosten für Pflege, aber auch Pensionserhöhungen und Inflationsängste sind ein ständiger Unruhe-Herd am Weg zum „strukturellen Nulldefizit“.
Ob die Gemeinden – hier schließt sich der Kreis zum Finanzausgleich – tatsächlich in der Lage sein werden, die Milliarde Euro „Corona-Kredit“ an den Bund zurückzuzahlen, ist ebenfalls alles andere als sicher. Städte- und Gemeindebund wollen dies nicht und haben schon die ursprüngliche Kredit-Konstruktion kritisiert. Es gibt also für die kommenden Budgets etliche Risken, die nicht abgebildet sind. Aber was bedeutet das schon in Zeiten wie diesen? Ob die Legislaturperiode von ÖVP/Grünen bis 2024 hält, wird von vielen bezweifelt. Und wenn Österreich wieder einmal früher wählen geht, ist die Frage, ob eine neue Regierung die gestaffelten Steuer-Veränderungen auch tatsächlich beibehält.
Dass der Liedermacher Rainhard Fendrich einmal als Ökonom herhalten muss, hat er sich selbst sicher nicht gedacht, aber sein Song „alles ist möglich, aber nix is fix“ könnte auch diesen Budgetpfad thematisch beschreiben…