Die Fragmentierung der Welt
von Reinhard Göweil
Vom Ende der Globalisierung ist oft die Rede, nachdem Russland die Ukraine überfiel und der zuvor diffuse „Westen“ eng zusammenrückte. Schon davor war es US-Präsident Trump, der chinesische Produkte mit Strafzöllen belegte. Der jetzige Präsident Biden hat diese restriktive China-Politik beibehalten und gemeinsam mit Australien im Pazifik noch um eine militärische Komponente erweitert.
Die bisher lose Staatengemeinschaft BRICS, bestehend aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika will nicht nur eine gemeinsame Verrechnungswährung einführen, sondern sich auch erweitern. Argentinien, Iran, Ägypten, Nigeria, die Vereinigten Arabischen Emirate und vor allem Saudi-Arabien seien Beitrittskandidaten, heißt es. Einigkeit beziehen diese Länder vor allem aus der ungeliebten Abhängigkeit vom US-Dollar, aber auch der Möglichkeit, neue Handelsströme zu entwickeln: Der „globale Süden“ beginnt sich wirtschaftlich zu organisieren.
Europa, vor allem in Gestalt der EU, steht als „globaler Westen“ fest zu den USA. Die Wirtschaftsbeziehungen zu Asien und Afrika sind freilich enorm und auch politisch wichtig. Damit steht Europa mitten in den Bruchlinien der sich abzeichnenden Fragmentierung der Weltwirtschaft. Eine Strategie mit dieser Fragmentierung umzugehen, ist derzeit weder in Brüssel noch in Frankfurt zu erkennen; weder geo-ökonomisch noch im monetären Feld, also dem Binnenmarkt und der EZB. Wird also Europa dabei zerrieben? Die Gefahr besteht.
Der frühere US-Finanzminister und angesehene Ökonom Larry Summers beklagte bereits die „zunehmende Akzeptanz der Fragmentierung der Weltwirtschaft“. Denn sie bedeutet das Ende der multipolaren Welt wie wir sie kennen. Das mag Globalisierungsgegnern gefallen, denen – richtigerweise – oftmals sinnlose Warenströme ein Dorn im Auge sind. Dieser rein kostengetriebene internationale Handel ist zwar mit den Klimaschutz-Zielen unvereinbar, aber er kam letztendlich allen zugute. Unternehmen und Konsumenten in den reichen Ländern profitierten, die Preise stiegen nicht mehr. Inflation schien abgeschafft zu sein. Die Entwicklungsländer genossen die Vorteile neuer Produktionsstätten. Zwei der sogenannten Millenniums-Ziele der Vereinten Nationen, Armut und Hunger in der Welt zu halbieren, wurde so erreicht.
Die neue ökonomische Weltordnung, eingeteilt in Freundeskreise, stellt all dies in Frage. BRICS wollen nun – so die Einschätzung praktisch aller ökonomischen Institute – die „Macht des Westens“ brechen. Russlands Präsident, der wegen des Haftbefehls gegen ihn nicht zum BRICS-Gipfel nach Südafrika reiste, nutzte seine Videobotschaft mit harter Kritik am „Westen“. Die BRICS-Staaten setzen auf Masse: 3,2 Milliarden aller acht Milliarden Erdbewohner entfallen auf die fünf Länder.
Sollten sich die BRICS erweitern und mit einer neuen Verrechnungswährung, ähnlich den früheren ECU, dem Vorläufer des Euro, reüssieren, würde sich die Fragmentierung der Weltwirtschaft vertiefen.
Eine logische Konsequenz wäre etwa, dass die USA und die EU ihr Handelsabkommen TTIP endlich abschließen. Es ist im Grundsatz seit 2013 ausverhandelt. Das Scheitern lag an der späteren protektionistischen US-Politik von Donald Trump und auf europäischer Seite an der Vereinbarung, privaten Schiedsgerichten eine große Rolle bei länderübergreifenden Handels- und Investitionsstreitereien einzuräumen. Paralleljustiz war das Schlagwort. Viele Länder und Nichtregierungs-Organisationen in Europa hatten ernste Bedenken. Wenn TTIP auch offiziell reaktiviert wird (technische Gespräche laufen), wird im Rahmen der EU-Vereinbarungen – trotz Brexit – auch Großbritannien teilnehmen. Wenn sich das Königreich nicht der völligen Bedeutungslosigkeit verschreibt, bleibt wenig anderes übrig. Der Commonwealth taugt dazu nicht. TTIP setzt weniger auf Masse, denn auf die europäischen und amerikanischen Länder entfallen etwa 800 Millionen Erdbewohner, dafür wäre es global unangefochten Nummer 1 bei den Handels- und Kapitalströmen.
Nun hat sich die Welt durch Finanzkrisen, Pandemie, geopolitische Verwerfungen wie den russischen Angriffskrieg und vor allem die Klima-Katastrophe erheblich verändert. TTIP wäre eine logische Antwort auf BRICS & Co. Es würde die Fragmentierung der Welt zwar verhärten, aber es würde auch Klarheit schaffen. Denn derzeit sind vor allem die multinationalen Konzerne verunsichert, wo sie investieren sollen. Sie wissen nicht, welche Regionen künftig mit Zöllen und anderen Hemmnissen belegt werden. Unsicherheit reduziert die Investitionsbereitschaft.
Gleichzeitig führt eine solche Fragmentierung zu politischen Verwerfungen. An welche der großen Blöcke sollen sich Länder anschließen? Müssen sie den Verlust anderer Märkte damit in Kauf nehmen? Führt das zu sozialen Unruhen und damit zu politischer Instabilität? Die Welt wird jedenfalls nicht stabiler in diesem Umfeld, so auch der Befund von Larry Summers. Landeswährungen könnten – entgegen der wirtschaftlichen Realität – so schwanken, dass Wettbewerbsfähigkeit oder Wohlstand in Frage gestellt wird. Summers fürchtet sogar, dass die Achse EU und USA dadurch zerrissen wird und die USA und der US-Dollar am Ende alleine übrig bleibt. Das ist übertrieben, dazu sind die ökonomischen Verbindungen zu eng.
Wenn sich aber Lieferketten und Absatzmärkte neu definieren, dann wird dies nicht ohne Einfluss auf die Preise bleiben. Die Inflation würde so auf absehbare Zeit höher bleiben als das EZB-Ziel von zwei Prozent. Erschwerend muss noch berücksichtigt werden, dass die Emissionsreduzierung wegen des Klimawandels die Handelsströme sowieso verändern wird. Ob sich dies alles mit ökonomischen „friend-shoring“ ausgeht, das können auch die besten Innovations- und Zukunftsforscher derzeit nicht beantworten.