Der Preis ist heiß – ein Streifzug durch die vielen Berechnungen von Inflation
von Reinhard Göweil
Zuerst die bad news: Für 2023 erwartete Österreich bisher ein Wirtschaftswachstum von 0,3 Prozent, 2024 von 1,4 Prozent. Das wird in Kürze abgesagt, die Industrie wird sogar deutlich schrumpfen. Und auch deren Dienstleistungen sowie die des Handels schmieren ab. Stagnation ist angesagt, eher Rezession.
Schon das macht die Herbst-Lohnrunden nicht gerade einfach.
Dazu kommt die hohe Inflation und die wird in Österreich oftmals faktenfalsch diskutiert. Beispiel Lebensmittel: Bis 2020 gingen Prüfer der Statistik Austria mit Produktlisten in die Supermärkte, um Preise zu erheben. Danach errechneten sich die Steigerungen der Preise, die von ebendieser Statistik Austria veröffentlicht wurden.
Seit 2020 ist die Preiserhebung digitalisiert und wertet Scanner-Rechnungen aus. Das hatte einen erstaunlichen Effekt: Die vielen Preis- und Mengen-Rabatte im heimischen Lebensmittelhandel wurden bis 2020 nur unzureichend berücksichtigt. Seit 2020 ist das anders, und es zeigte sich, dass die Lebensmittelpreise in Österreich statistisch zu fallen begannen. Im Juli 2023 liegt – laut Eurostat – das Preisniveau im Lebensmittelhandel in Österreich gleichauf mit Deutschland. Preisunterschiede bis zu 16 Prozent, wie von der Politik behauptet, gibt es nicht. Brot ist teurer, aber statistisch irrelevant. (In Deutschland und Österreich liegen die Lebensmittelpreise übrigens etwa sieben Prozent über dem Durchschnitt der EU.) Nun liegt Deutschlands Inflationsrate mehr als zwei Prozentpunkte unter der österreichischen. Die Lebensmittel aber sind es aber nicht, die die Inflation hierzulande treiben. Um erfolgreich zu kämpfen, muss man den Gegner kennen, die Lebenmittel sind es nicht.
Statistiken sind immer ein schmaler Grat
Es wird also – selbst von Experten – mit Zahlen operiert, die objektiv falsch sind. Das nächste Problem betrifft die Berechnungsbasis. Mietpreiserhöhungen im regulierten Wohnungs-Markt erhöhen sich mit dem Verbraucherpreisindex (VPI), im allgemeinen Sprachgebrauch ist das die Inflationsrate. Nun steigen die Preise für Vermieter und deren Hausverwaltungen aber nie in diesem Ausmaß. Mieterhöhungen von bis zu 20 Prozent in den vergangenen 18 Monaten sind zwar gesetzlich gedeckt, aber weit überschießend. Der Einwand linker Ökonomen wie dem Momentum-Institut, dass hier von unten nach oben umverteilt wird, ist faktisch richtig. Es wäre also besser, andere Preis-Parameter bei Mieterhöhungen anzusetzen als den VPI.
In den Jahren der Null-Inflation davor war dies alles kein Problem, aber jetzt schon. Grundsätzlich ist die Regelung, Mieten an Preisentwicklungen zu koppeln gescheit, weil der Staat nicht in Preise eingreift. Aber ein gesetzlich fixierter Abschlag auf den VPI – wie auch immer – wäre jedenfalls möglich, ohne die Immobilienwirtschaft in den Abgrund zu stürzen.
Der BIP-Deflator
Ein solcher Ausweg wäre beispielsweise der BIP-Deflator. Der geht nicht von den Preisen des Vorjahres aus, sondern von der gesamten Wirtschaftsleistung, beinhaltet also eine Produktivitätskomponente. 2022 lag die Inflation bei 8,6 Prozent, der BIP-Deflator bei 4,9 Prozent. Dabei handelt es sich im Grunde um eine simple Bruchrechnung: Die nominelle Wirtschaftsleistung wird durch die reale (also inflationsbereinigte) Wirtschaftsleistung dividiert.
Wegen der stagnierenden realen Wirtschaftsleistung gibt es 2023 dabei kaum einen Unterschied: Der BIP-Deflator liegt bei etwa 7,3 Prozent, der Verbraucherpreisindex bei plus 7,5 Prozent.
Die Gewerkschaften hören das nicht gern, sie fordern einen zweistelligen Abschluss, da die rollierende Inflationsrate (also von Herbst-Abschluss zum nächsten) bei 9,7 Prozent liegt. Das Problem dabei: Ein sehr hoher Lohnabschluss würde 2024 wohl die – auf 4,5 Prozent geschätzte Inflation – tendenziell nach oben treiben. Vor allem die unteren und mittleren Einkommen geben den Großteil der Zuwächse für Konsum aus. Deutlich mehr Geld steigert dort die Nachfrage. Und steigende Nachfrage bedeutet immer steigende Angebots-Preise. Gleichzeitig stabilisiert diese Kaufkraft aber auch das Wirtschaftswachstum.
Ein Abschluss rund um 7,5 Prozent wäre für die Gewerkschaften aber eine Niederlage, die werden sie nicht hinnehmen. Ein zweistelliger Lohnzuwachs wäre für viele Betriebe nicht zu stemmen, höhere Arbeitslosigkeit wäre die Folge. Das können die Gewerkschaften auch nicht wollen.
Um die Schwierigkeiten komplett zu machen muss auch noch die rasende Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) berücksichtigt werden. Sie wird vor allem in Dienstleistungsbereich zu einem enormen Produktivitätszuwachs führen. Im Klartext: Weniger Personal wird die gleiche Menge an Arbeit, Daten und Prozesse erzeugen können.
Gewerkschaften müssen auch Beschäftigungsniveau hoch halten
Daher muss angemerkt werden, dass es institutionelle Aufgabe der Gewerkschaften im Rahmen der Sozialpartnerschaft ist, die Gesamtbeschäftigung so hoch wie möglich zu halten. Menschen wollen arbeiten und von dieser Arbeit auch leben können. In der Industrie gibt es im Moment das Problem, dass hohe Energiepreise auf einen (vermutlich) hohen Lohnabschluss treffen. Das reduziert die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs. Das will niemand.
Für heuer wird es wohl zu spät sein, neue Berechnungs-Parameter einzuführen, aber es gibt es schon ein paar Stellschrauben für die Lohnverhandler. So könnte etwa ein Zwei-Jahresabschluss mit einer Besserungsklausel für 2024 abgeschlossen werden. Auch Einmalzahlungen sind eine Variante. Das würde das vergangene Jahr abbilden und die kommende Rezession berücksichtigen. Die Sozialpartner schielen aber mit einem Auge immer auf die Sozialversicherung und Einmalzahlungen erhöhen deren Beiträge nicht – und sie schreiben auch Verluste.
Für die Sozialpartner hätte eine Einmalzahlung diesmal einen gewissen Charme, weil sowohl Arbeitnehmer- als auch Arbeitgebervertreter die Regierung stärker in die Pflicht nehmen wollen, die Inflation zu bekämpfen. Einmalzahlungen erhöhen den Bundeszuschuss zur Pensionsversicherung, der Finanzminister ist also steinerner Gast bei den kollektivvertraglichen Gesprächen.
Fazit: In einer so komplexen Welt müssen auch die Paramater, die unser materielles Leben bestimmen, komplexer werden. Das wird es für die Verantwortlichen in Politik und Sozialpartnerschaft nicht leichter machen, aber zu Ergebnissen führen, die deutlich besser sind als die aktuellen.