Corona erwischt heimische Semperit am richtigen Fuß
von Reinhard Göweil
Alle Räder stehen still? Nein, nicht alle. Der Gummi-Konzern Semperit AG produziert Schutz- und Operations-Handschuhe, und deren Bestellvolumen hat sich nach Firmenangaben verdreifacht. Das Unternehmen produziert in einem Werk in Malaysia und im Hauptwerk im niederösterreichischen Wimpassing. „Wir haben die Osterferien abgesagt und produzieren an unserer Kapazitätsgrenze“, sagte Semperit-Sprecherin Monika Riedel. In Malaysia wurden davor bis zu acht Milliarden Stück Schutz-Handschuhe hergestellt. Die Operations- und Untersuchungshandschuhe aus Wimpassing beliefen sich auf 140 Millionen Paar pro Jahr. Corona sorgte nun für eine Verdreifachung der Bestellungen, da diese auch im Intensiv-Bereich der Spitäler eingesetzt werden. In Corona-Zeiten von eminenter Bedeutung.
Bisher war diese Sparte „Sempermed“ das Problemkind des Unternehmens. Erst im Jänner 2020 hat der Aufsichtsrat beschlossen, die Sparte zum Verkauf zu stellen. Sie macht etwa 38 Prozent vom Konzernumsatz in Höhe von 840 Millionen Euro aus, und war defizitär.
Die Betonung liegt auf „war“. Auf Nachfrage der „finanznachrichten“ bestätigt das Unternehmen, dass diese „strategische Entscheidung aufrecht ist, wir haben ja auch keinen Zeitraum für den Verkauf definiert. Aber der Prozess wird derzeit evaluiert.“ Im Klartext bedeutet das wohl, dass der Verkaufsprozess nach hinten verschoben wird.
Wird der Verkauf der Sempermed-Sparte abgesagt?
Wenn er nicht überhaupt gestoppt wird. Denn die Republik Österreich behält sich – wie andere Staaten auch – vor, kritische Produktionen im Land zu halten. Die aktuellen Lieferengpässe bei medizinischem Material und pharmazeutischen Wirkstoffen haben Europa dramatisch vor Augen geführt, dass in Krisenzeiten mit der Globalisierung Schluss ist, und Grenzen dicht gemacht werden.
Ein Verkauf der „Sempermed“ an ausländische Fonds oder einem industriellen Mitbewerber hätte zur Folge, dass die Unternehmenszentrale abwandert, und im Ernstfall auf heimische Bedürfnisse keine Rücksicht nimmt. Der Verkauf könnte von der Regierung untersagt werden, und die staatliche Industrieholding ÖBAG die „Sempermed“ übernehmen. Das geben die aktuellen Gesetze her.
Soweit sind wir noch nicht. Es genügt, dass der Mehrheitseigentümer B&C-Holding AG und das Management in Österreich sitzt.
Aktuell ist es so, dass Semperit „alles tut, um Österreich zu helfen“, so die Unternehmenssprecherin. Aus Malaysia werden Schutzhandschuhe mit AUA-Flugzeugen nach Österreich gebracht. Das niederösterreichische Werk Wimpassing hat – wie erwähnt – die Osterferien abgesagt und fährt in den Schichten praktisch 24 Stunden sieben Tage die Woche durch. Dort arbeiten derzeit 900 Mitarbeiter. Kurzarbeit ist für sie ein Fremdwort.
Nicht nur Semperit wird plötzlich als wesentlicher Industrie-Faktor erkannt.
Die aus früheren Bank Austria-Beteiligungen entstandene „B&C Holding“ ist als Stiftung organisiert. Neben Semperit gehört dazu auch die Lenzing AG. Der oberösterreichische Zellstoff- und Faserproduzent spielt ebenfalls eine Rolle in der aktuellen Corona-Krise. Das Unternehmen arbeitet an Mundschutz-Masken beziehungsweise deren Vormaterial. Aus dem aus Holz gewonnenen Zellstoff kann Lenzing mittlerweile Vliese herstellen. Das Vlies wird von heimischen Textilproduzenten wie Nähereien zu Masken verarbeitet. Auch deren Produktion läuft auf Hochtouren.
Für medizinische Zwecke sind diese allerdings ungeeignet, weil dafür Vlies verschweißt werden muss. Zellstoff verbrennt dabei und muss genäht werden. Für Gesichtsmasken im Supermarkt genügt das allerdings bei weitem, was diesen Produktionszweig in Lenzing auch an die Kapazitätsgrenze bringt.
Semperit-Aktie 6-Monats-Vergleich
Die Börse ist von solchen Differenzierungen allerdings noch weit weg. Semperit sank vom Höchststand 2020 mit 13,20 Euro auf etwa 12 Euro. Lenzing sank von 58 auf 50 Euro.
Zu Semperit: Die Zentrale des österreichischen Traditionsunternehmens, das seit 1824 besteht, befindet sich in Wien. Die Semperit Gruppe beschäftigt weltweit rund 6.900 Mitarbeiter, davon rund 3.600 in Asien und rund 900 in Österreich (Wien und Produktionsstandort Wimpassing, Niederösterreich). Zur Gruppe gehören weltweit 14 Produktionsstandorte sowie zahlreiche Vertriebsniederlassungen in Europa, Asien, Australien und Amerika. Im Geschäftsjahr 2018 erzielte der Konzern einen Umsatz von 840,6 Mio. EUR sowie ein bereinigtes EBITDA (ohne Sondereffekte) von 63,8 Mio. EUR.