Corona erfordert Italiens Rettung – OMT lautet das Zauberwort
von Reinhard Göweil
Die Zahl der Corona-Todesfälle in Italien lassen den Atem stocken, für die europäische Politik gelten aber nach wie vor andere Prioritäten, nämlich Geld. Es ist zwar allen Verantwortlichen klar, dass Italien und wohl auch Spanien angesichts des wirtschaftlichen Stillstands Euro-Finanzhilfe benötigen werden, aber wie und unter welchen Bedingungen ist wieder einmal Streit-Thema. Droht nach Corona die nächste Euro-Krise?
Die Chancen dafür sind – euphemistisch betrachtet – intakt, denn alle Wirtschaftsprognosen sind derzeit bestenfalls Simulationen. So sind etwa die aktuellen Prognosen von Wifo und IHS für Österreichs Wirtschaft wenige Tage später nichts mehr wert. Denn sie gehen bei Italien von einem Minus von vier Prozent aus. Das reicht beim für Österreich enorm wichtigen Handelspartner nicht aus – minus 6,5 Prozent sind die Unterkante.
Ohne Sommertourismus wird es düster
Italien schmiert derzeit ab. Linderung verspräche der Sommer-Tourismus, doch selbst wenn sich die Corona-Seuche bis dahin abgeflacht hat, ist die Frage: Werden sich die Nordeuropäer trotzdem auf die eng bestuhlten Mittelmeer-Strände begeben?
Da gibt es bei Tourismus-Experten einige begründete Zweifel. Italiens Tourismus hat mit einem Anteil an der Wirtschaftsleistung von 15 Prozent eine ähnlich hohe Bedeutung wie in Österreich. Wenn die zahlungskräftigen Gäste ausbleiben, so schlägt sich dies rasch negativ zu Buche.
Nun war es bereits so, dass Italien heuer auch ohne Corona-Krise an der Defizitgrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung entlang geschrammt wäre. Mit dem aktuellen Desaster und dem empfindlichen Rückgang der Wirtschaftsleistung wird das Budgetdefizit ausufern. Zwar hat die EU die Stabilitätskriterien außer Kraft gesetzt, doch das bedeutet nur, dass Italien – und allen anderen Ländern – kein EU-Verfahren droht.
Kredite von ESM
Das wäre ohnehin sinnlos, aber eines bleibt wohl oder übel: Italien wird das Defizit ausgleichen müssen, also Geld benötigen – viel Geld. Wie solidarisch soll sich Europa dabei verhalten?
Wenn es nach den Niederlanden geht, nicht sehr. Deren Regierungschef Mark Rutte spielt im Europäischen Rat derzeit den wilden Mann, und blockiert gemeinschaftliche Lösungen. „Infam“ nennen manche EU-Diplomaten das Verhalten Hollands derzeit.
Italien bleibt daher der Weg zum „Europäischen Stabilitätsmechanismus“, kurz ESM genannt. Dieser „Euro-Währungsfonds“ hat in der Finanzkrise, wofür er auch gegründet wurde, bereits Griechenland, Spanien, Portugal, Zypern, Irland, unter seine Fittiche genommen und finanziell unterstützt.
Italien ist aber mit 60 Millionen Einwohnern und einer Wirtschaftsleistung von 1600 Milliarden Euro, dem Vierfachen von Österreich, ein anderes Kaliber. Wenn Italiens Budget-Defizit heuer auf zehn Prozent steigt, was nicht unwahrscheinlich ist, muss das Land alleine heuer 160 Milliarden Euro aufnehmen, um seine Rechnungen begleichen zu können. Von 2021 ist da noch nicht die Rede…
Hier kommt der ESM ins Spiel, der aktuell 410 Milliarden Euro zur Verfügung hat. Er könnte – so schaut es derzeit aus – Kredite von bis zu zwei Prozent der Wirtschaftsleistung an betroffene Länder vergeben. Im Falle Italiens wären das 32 Milliarden Euro, bei Spanien etwa 24 Milliarden. Das ist zu wenig.
Die Europäische Zentralbank wird es wieder richten
Damit kommt wieder einmal die Europäische Zentralbank (EZB) ins Spiel. Die Eleganz der europäischen Struktur erlaubt der EZB, bei Vorliegen von bewilligten ESM-Krediten, auf eigene Entscheidung praktisch unbegrenzt die Anleihen dieses „ESM-Staates“ zu kaufen.
„Outright Monetary Transactions“ (OMT) nennt sich diese schwere Waffe der Europäischen Zentralbank. OMT ist allerdings auch der letzte Pfeil, den die EZB noch im Köcher hat, denn auf weniger als Null sind Zinsen nicht zu senken. „Outright Monetary Transactions“ wurden bisher noch nie verwendet, die Bestimmung gibt es seit 2012, als Folge der Euro-Krise. Die EZB würde mit diesen „vorbehaltlosen geldpolitischen Geschäften“ de-facto die Staatsfinanzierung Italiens und vielleicht auch Spaniens übernehmen können.
„Outright Monetary Transactions“ (OMT) – die Notfallklausel
Die Notfallklausel soll nun – ist aus Brüssel zu hören – von der EZB aktiviert werden. Widerstand aus dem EZB-Rat sei angesichts des Ausmaßes der Krise nicht zu erwarten. Italien als „ESM-Land“ kann damit selbst Anleihen begeben, die EZB kauft alle Schuldtitel auf. Es gibt in dieser OMT-Klausel keine vorgegebene Obergrenze.
Kurzfristig hat dies den Charme, weil sich angesichts der Zinssituation der ESM und damit Italien praktisch zinsenlos verschulden können. Die Laufzeiten der bisherigen Anleihen bewegen sich zwischen 12 und 35 Jahren.
Das Problem dabei: Die harten Kreditbedingungen
Wie immer in der EU gibt es aber eine weniger graziöse Bewegung an der europäischen Eleganz. Die Bedingungen für Euro-Staaten, zu einem ESM-Kredit zu kommen, sind recht rigoros. Einsparungen im öffentlichen Bereich und bei Sozialleistungen, Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit (immer mit kurzfristig hoher Arbeitslosigkeit verbunden), regelmäßige Überprüfung der Maßnahmen durch die ESM-Experten: Es läuft auf eine de-facto-Entmachtung der nationalen Regierung und Parlamente hinaus, und die meisten Maßnahmen kommen bei Bevölkerung verständlicherweise nicht gut an. Politiker unter ESM-Kuratel werden üblicherweise bei nächster Gelegenheit abgewählt, wie die Vergangenheit zeigte.
Und daher gab es beim jüngsten Video-Gipfel der Regierungschefs auch keine Einigung.
Aus diesem Grund war ausgerechnet Italien vorerst gegen die Aktivierung des ESM. Natürlich will Italien den Billig-Kredit abrufen, aber nicht zu harten Bedingungen und womöglich nicht mit verbindlich vereinbarten Rückzahlungsmodalitäten. Das würde aber eine Änderung des ESM-Vertrages bedeuten, mit parlamentarischer Ratifizierung in allen 19 Euro-Ländern. Dazu fehlt die Zeit.
Ein Teil könnte geschenkt werden
Am besten wäre es laut Experten, den Italienern einen Teil, etwa 17 Prozent, zu schenken. Das entspricht nämlich dem Kapitalanteil Italiens am ESM, das sich damit diesen Teil ihrer Rettung selbst bezahlt. Spanien hat übrigens einen Anteil von 12 Prozent.
Deutschland hält 27 Prozent am ESM, und würde nix kriegen. Ob die deutsche Politik bei dieser Art der Umverteilung mitspielt, ist mehr als unsicher. Die deutsche Kanzlerin Merkel ist nicht offen ablehnend, aber es könnte schon sein, dass hier die renitenten Holländer auch das Geschäft der Deutschen erledigen. Auch die deutsche Bundesbank steht dem OMT-Instrument skeptisch gegenüber.
Österreich ist mit 2,8 Prozent dabei und würde also mit 900 Millionen Euro für den präsumptiven ESM-Kredit Italiens gerade stehen. In Zeiten wie diesen nicht gerade ein Betrag, der jemanden vom warmen Ofen hervorlocken würde, um es generös zu beschreiben. Und es wäre eine Art Umweg zur den sogenannten Euro-Bonds, in denen alle Euroländer untereinander für ihre jeweiligen Schulden haften würden. Das ist politisch in der EU derzeit nicht durchzubringen.
Warum soll in Europa der Norden mit dem Süden solidarisch sein?
Die Zeit drängt. Erstens weil das Virus auf politische Befindlichkeit und ökonomische Leistungsfähigkeit keine Rücksicht nimmt. Zweitens, weil mit Italien und Spanien zwei große Länder betroffen sind. Italien mit 60 Millionen Einwohner und Spanien mit 47 Millionen repräsentieren 23 Prozent der europäischen Bevölkerung. Gehen diese Absatzmärkte längere Zeit verloren, bekommen auch Liefer-Länder wie Deutschland, Österreich, Schweden und die Niederlande erhebliche Probleme.
Umgekehrt kommen sehr viele Waren des täglichen Lebens wie Nahrungsmittel, Obst, Gemüse aus diesen beiden Ländern. Sowohl die dortigen Branchenbetriebe als auch deren Logistikketten müssen daher erhalten werden. Eine Insolvenzwelle bis hin zu Bankpleiten in Italien und Spanien wären also das letzte, was sich die Euroländer wünschen können.
Holländer vertreten harte Haltung – folgt vage EU-Erklärung?
Es wird also – so eine Vermutung von Experten – eine vage Absichtserklärung der EU-Regierungschefs geben, Italien in dieser Notlage nicht im Stich zu lassen. Ob die dann ausreicht, wird sich erst am Ende der Krise herausstellen. Sicher ist nur, dass es teurer wird als die jüngste Finanzkrise. So könnte Italien heuer von 135 auf 150 Prozent Staatsverschuldung laufen. Dabei erwirtschaftete das Land seit Jahren einen sogenannten Primärüberschuss, die Einnahmen übersteigen die operativen Ausgaben. Es ist die Zinslast der enormen Schulden, die Italien schwer ins Defizit drücken. Ob also ausgerechnet jetzt die Zeit ist, der ohnehin wackligen römischen Regierung harte Strukturreformen aufs Auge zu drücken, wird sogar von konservativen Ökonomen bezweifelt. Die Seuche Covid-19 könnte also schaffen, was bisher undenkbar war: Eine europäische Finanz-Solidarität. Denn nach der Krise wird Italien (wie alle anderen Länder) ein Konjunkturprogramm benötigen. Und das wird noch einmal sehr viel Geld kosten.