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Erstellt am 19.03.2025

Budget-Sanierung war gestern

von Reinhard Göweil

Großbritannien, Frankreich, Polen, Skandinavien, Baltikum und neuerdings auch Deutschland geben die Richtung vor: Europas militärische Verteidigung muss schlagkräftiger werden und sich materiell und technologisch von den USA emanzipieren. Die EU-Kommission will, dass die EU-Länder dafür 650 Milliarden Euro aufwenden, die praktisch aus der Schulden- und Defizit-Berechnung herausgerechnet werden. Die Stabilitätsziele gelten also bis auf weiteres nicht mehr. Deutschland als größtes EU-Land hat mit dem Aus der Schuldenbremse seinen Weg dafür freigemacht und zusätzlich 500 Milliarden für die Sanierung der maroden Infrastruktur beschlossen.

Gleichzeitig droht der Handelsstreit zwischen den USA und der EU zu eskalieren. Dem Lieblings-Zollsatz Trumps in Höhe von 25 Prozent könnten Zölle von 200 Prozent auf Wein und andere Lebensmittel folgen, wütete der US-Präsident. Der transatlantische Handel von Waren und Dienstleistungen macht etwa 1800 Milliarden Euro aus, die jeweiligen Finanztransaktionen dazu 4000 Milliarden. Der Zoll-Streit, den Trump Schlacht nennt, hat massive Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum, Preise, Kapitalströme (Aktienbörsen und Direktinvestitionen) – in beide Richtungen.

Löschwasser wäre zerstörerischer als der Brand

In diesem Umfeld wird Österreich seine Wachstums-Prognose von 0,6 Prozent plus im heurigen Jahr recht rüde auf eine Schrumpf-Prognose von etwa ein Prozent ändern. Das Budgetdefizit geht heuer und nächstes Jahr auf fünf Prozent oder darüber. Die Dreier-Koalition müsste – um ein EU-Defizitverfahren zu vermeiden – heuer nicht 6,4 Milliarden, sondern eher neun Milliarden sparen, im kommenden Jahr nochmal vier Milliarden drauf. Das ist nur zu stemmen, wenn sich Österreich mit seinem Fingerschnipp neu erfindet – also gar nicht.

Solche Einsparungs-Ansagen wären außerdem zerstörerisch, denn ihnen wohnt eine giftige Angst-Dynamik inne. In Krisenzeiten wird gespart, die Leute halten das Geld zusammen. Nun ist die Sparquote ohnehin schon sehr hoch, zum Leidwesen der wachstumsfördernden Konsumausgaben. Jede weitere Verschlechterung – und die kommt unausweichlich – verursacht ökonomische Schockstarre. Die ist bei den Betrieben schon angekommen, die Profitabilität nichtfinanzieller Unternehmen zeigt stark nach Süden, die Industrieproduktion schrumpft besorgniserregend.

In dieser Situation die Budgets der öffentlichen Hand scharf einzubremsen ist Harakiri mit Anlauf.

Der fatalistische Ansatz „whatever it takes“, im Wienerischen treffend mit „verkauft’s mei G‘wand, i fahr‘ in Himmel“ übersetzt, würde als politische Leitlinie aktuell besser taugen. Denn die beschriebenen finanziellen Notwendigkeiten Europas machen Österreichs Budgetproblem zur Kleinigkeit. Wie immer, muss eine administrative Form gewahrt werden. Die Wiener Regierung wird der EU den Budgetplan auf sieben, vielleicht zehn Jahre strecken, der einigermaßen plausibel erscheint. Da dazwischen Wahlen und noch unbekannte Krisen liegen, ein eher unverbindliches Papier, das aber ein Bemühen des Staates um stabile Staatsfinanzen beweist. Das wird genügen, keine Panik zu verbreiten.

Das genügte schon in der jüngeren Vergangenheit. 2009 am Höhepunkt der damaligen Finanzkrise hat die EU-Kommission folgendes errechnet und für gut geheißen: Die (oftmals bloß aus Gier) strauchelnden Banken Europas erhielten von den Mitgliedsländern insgesamt 313 Milliarden Euro an direkten Kapitalspritzen, dazu kamen Bürgschaften in Höhe von 2900 Milliarden Euro. Dass die einzelnen Bürgerinnen und Bürger Europas von dieser Finanzkrise unmittelbar persönlich nichts spürten, liegt daran, dass die Staaten für die Banken ihre Verschuldung erhöhten und nicht die Steuern. Österreich: Allein die Hypo Alpe Adria, eine Bank, die systemisch als Kärntner Hypobank bedeutungslos sein sollte, hinterließ durch die Finanzkrise neun Milliarden Euro Republik-Schulden.

Im Vergleich dazu sind die aktuellen Rüstungsausgaben der EU-Länder in Höhe von 326 Milliarden Euro (plus 75 Milliarden des Vereinigten Königreich) geradezu überschaubar. Es ist daher zu erwarten, dass Österreich mit seinem höheren Defizit leben wird können. Dies gilt umso mehr, weil diese – weiter steigenden – Rüstungsausgaben künftig der europäischen Industrie zu Gute kommen sollen und damit auch der österreichischen.

Wir müssen uns leider an den Gedanken gewöhnen, dass die voestalpine weniger Stahl an BMW und mehr an die Rheinmetall verkaufen wird.

Damit das auch funktioniert, sind einige Reformen auf europäischer Ebene notwendig – und wie bei der Finanzkrise – massive Eingriffe in den Finanzmarkt. Langfristige Eurobonds mit sehr günstigen Kreditkonditionen – könnten die Schulden der europäischen Staaten berechenbar machen.

Das klingt kommunistisch-imperialistisch, ist aber eine Idee des Trump-Vertrauten Stephen Miran, der das in einem „Mar-a-Lago-Abkommen“ (benannt nach dem Wohnsitz Trumps in Florida) skizziert hat. Demnach sollen Staaten, die nach Dollar-Finanzierung verlangen oder sich von den USA militärisch verteidigen lassen wollen, von den USA gezwungen werden, dafür unverzinste 100jährige Dollar-Anleihen kaufen müssen. Soweit die Idee, die auch von Putin stammen könnte. Stephan Miran ist ehemaliger Beamter im US-Finanzministerium und Investmentbanker und nun der wirtschaftliche Chef-Berater Trumps im Weißen Haus. Mit seinem Konzept soll erreicht werden, dass der Dollar einerseits im globalen Handel an Wert verliert, was das chronische US-Handelsdefizit reduziert, andererseits als wichtigste globale Reservewährung festgezurrt wird. Der Schuldendienst für die enorme Verschuldung der USA, die bei 124 Prozent der Wirtschaftsleistung steht, würde sich auch reduzieren zur Freude Trumps.

Das würde die Wall Street wie wir sie heute kennen zerstören, aber von der hält Trump ohnehin nicht viel. Sie schickte seine Unternehmen mehrfach in die Pleite, weil zwischen vollmundigen Versprechen und erwirtschafteten Profiten halt ein himmelhoher Unterschied ist. Es ist auch nur machbar, wenn die bisher unabhängige US-Notenbank Fed unter die Kontrolle der US-Regierung gerät. Da die Trump-Regierung aktuell Entscheidungen von Bundesrichtern ignoriert und als „linksradikale Irre“ verunglimpft, scheint auch das nicht ausgeschlossen.

Europa muss sich strategisch darauf einstellen, dass sich die USA in eine „illiberale Demokratie“ wandeln, mit großer Sympathie für Russland. Dem britischen Premier Keir Starmer und Frankreichs Präsident Emanuel Macron scheint dies klar zu sein. Und zwischen Freiheit, wie wir sie kennen und Budget-Sanierung wird auch in Österreich die Wahl nicht allzu schwer zu sein, vor allem in Hinblick auf die Jugend. „Unsere Kinder sollen es einmal besser haben“, der Satz wandelt sich gerade von der materiellen Bedeutung in eine gesellschaftspolitische. Wenn die Regierung in Wien (und mehr noch die Industriellenvereinigung) das kapiert, können wir endlich aufhören, das Land krank zu jammern und das Augenmerk auf das neue Selbstbewusstsein Europas lenken, das nicht von 27 EU-Staaten definiert wird, sondern stark von jenen, die nicht der Gemeinschaft angehören – auch über Weltmeere hinweg.

PS: Diese Entwicklungen dürfen aber nicht davon ablenken, dass Österreich seine Hausaufgaben machen muss. Das ist- im Vergleich – politisches Kleingeld und macht wenig Schlagzeilen: Verschleuderung von Geld im Finanzausgleich; Überprüfung der doppelten Subventionen;  Fokussierung der Leistungen der Sozialversicherung auf blinde Flecken (z.B. Impfungen, Zahngesundheit, Künstler-SV); Effizienz der öffentlichen Verwaltung bei Bildung, Spitälern, Baurecht, etc.; bundeseinheitlicher Umgang mit Migranten, und last, but not least: Sicherung einer pluralen Öffentlichkeit etwa via Medien. Es bleibt also genug zu tun, denn: Es sind meist die Informationen, die es nicht auf die analoge und digitale Titelseite schaffen, die den größten Einfluss auf den Alltag der Menschen haben.