BlackRock rockt die Schweiz – und Europa
von Reinhard Göweil
Als seinerzeit die Bank Austria die Creditanstalt übernahm, zerbrach daran die Regierung in Wien. Österreich kann daher den Furor in der Schweizer Öffentlichkeit nachvollziehen, der nach der Übernahme der angeschlagenen Credit Suisse durch die UBS entstand. „Ein Zombie ist weg, doch ein Monster entstand“, schrieb die semantisch sonst eher zurückhaltende „Neue Zürcher Zeitung“. Nach Bilanzsumme beherbergt die kleine Schweiz nun die weltweit 15.größte Bank, sie ist doppelt so hoch wie das Schweizer Bruttonationalprodukt. Der Chef der UBS hat in Zukunft wohl mehr Macht als der Schweizer Finanzminister in Bern und der Präsident der Nationalbank in Zürich.
Doch wie konnte es so weit kommen? Die Credit Suisse litt seit Jahren unter erheblichen Management-Fehlern, offenbar gepaart mit einem Gefühl der Unfehlbarkeit. Ein Sittenverfall sozusagen. Panama Papers, Bespitzelung eigener Mitarbeiter, das Ausbleiben versprochener Sanierungsschritte, Geldwäsche, Greensill, Steuerfluchtkonstruktionen jeglicher Art: Credit Suisse ließ so gut keinen Skandal der vergangenen Jahre aus. Dazu kamen Zweifel über die Qualität der Finanzberichte der Bank.
Die Folge: Das 166jährige Bankhaus kam immer stärker ins Gerade, verlor in wenigen Tagen mehr als 100 Milliarden Franken an Kundengeldern und ein Ende des Ausblutens war nicht in Sicht. Das Schweizer Finanzministerium und die dortige Nationalbank stoppten über ein Wochenende den monetären Blutverlust und der Verband hieß: UBS übernimmt den kleineren Konkurrenten mit üppiger öffentlicher Hilfe. UBS bekommt die Credit Suisse praktisch geschenkt, dafür müssen die dort nun aufräumen. Europäische und amerikanische Notenbank applaudierten, eine Pleite der Credit Suisse hätte auch deren Banken arg gebeutelt. Vertrauen ist bei Geld halt genauso wichtig wie in der Religion. Als Kolleratalschaden verlieren bestimmte Anleihegläubiger der Credit Suisse ihr gesamtes Investment, die Aktionäre erhalten nun zwangsweise UBS-Aktien zu einem festgelegten Preis, der sie nicht glücklich macht, das Tauschverhältnis liegt bei etwa 22:1.
BlackRock sitzt immer am Tisch und zieht Fäden
Ein Name tauchte in dem gesamten Spiel aber bisher nicht auf: BlackRock. Der Finanzkonzern ist keine Bank im regulatorischen Sinn, sondern entwickelt und vertreibt Anlageprodukte. Der „Wertpapierdienstleister“ mit Sitz in New York wurde 1988 von Larry Fink gegründet und verwaltet derzeit global Vermögen im Wert von mehr als 10.000 Milliarden Dollar. BlackRock ist an so gut wie jedem börsenotierten Großkonzern beteiligt.
An der UBS hält BlackRock 5,24 Prozent und ist dort größter Einzelaktionär. An der Credit Suisse hält bzw. hielt er knapp fünf Prozent. Mit dem Schweizer Merger wird BlackRock nun vermutlich der größte Einzelaktionär des Schweizer „Monsters“ (copyright NZZ). Die arabischen Aktionäre der Credit Suisse werden dagegen ordentlich rasiert.
Nun ist die neue UBS aber nicht nur eine Bank, sondern mit knapp fünf Milliarden Franken auch eine der größten Vermögensverwalter weltweit. BlackRock verliert zwar durch den Schnitt bei der CS Geld, aber vorerst nur auf dem Papier. Denn die Investmentgesellschaft bekommt dafür ja Aktien der ihr bestens bekannten UBS.
Dass der ehemalige Chef der Schweizerischen Nationalbank, Philipp Hildebrand, mittlerweile Vize-Chairman von Blackrock ist und „informell“ an den Gesprächen der eidgenössischen Not-Fusion teilnahm, zeigt zusätzlich wie intensiv der US-Finanzkonzern involviert ist.
Da BlackRock als engagierter Aktionär bekannt ist, der sich recht robust in die Geschäftsstrategie der Unternehmen einmischt, an denen er beteiligt ist, kann er sich nun auf die UBS konzentrieren. Das Geschäftsmodell kennen die Manager des schwarzen Fels ja bestens.
Die Frage ist nun, was BlackRock in Europa strategisch vorhat. Unmittelbar nach dem UBS-CS-Deal tauschte die UBS ihren Vorstandsvorsitzenden aus, Sergio Ermotti ersetzt den Niederländer Ralph Hamers. Ermotti war Vorgänger Hamers als UBS-Chef und war davor bei der Unicredit, der italienischen Großbank, zu der auch die Bank Austria gehört. Auch an der Unicredit hält BlackRock 5,2 Prozent und ist damit größter Einzelaktionär. Dass der Tessiner Investmentbanker Ermotti (63) auch Verwaltungsratspräsident der Swiss Re, einer der größten Rückversicherer weltweit ist, passt gut ins Bild. Dass BlackRock bei dieser überraschenden Personal-Rochade eine Rolle gespielt hat, wird in Finanzkreisen für selbstverständlich gehalten.
Konsolidieren die USA Europas Bankensektor?
Konsolidieren die USA nun still und leise den europäischen Bankensektor? Den Eindruck könnte man gewinnen. BlackRock ist Großaktionär bei der Deutschen Bank, der französischen Großbank BNP Paribas und der größten spanischen Bank Santander. Ebenso beteiligt ist BlackRock an der britischen HSBC, sowie an den beiden italienischen Schwergewichten Intesa und Unicredit. In Österreich ist BlackRock drittgrößter Aktionär der Erste Bank Group.
Gleichzeitig berät die BlackRock – über eine Tochtergesellschaft – die Notenbanken Fed (USA) und die EZB. In Irland, Griechenland und anderen Ländern hat BlackRock mit den dortigen Finanzministerien die Bankenlandschaft restrukturiert und bei der Abwicklung zweifelhafter Papiere tatkräftig mitgeholfen und ist dabei immer größer geworden.
Schattenbank, Krake, Problemlöser, Briefschreiber
„BlackRock ist ein Krake geworden, der seine Fangarme überall hat“, sagte ein Banker. Dessen Gründer und Chef Larry Fink hat ein geniales Konstrukt entworfen. Neben den Großveranlagungen in Beteiligungen gibt es über die Beratungsschiene einen starken Arm in die Politik. Denn die diversen Bank- und Finanzkrisen hielten die Regierungen weltweit auf Trab – BlackRock versprach Lösung. Gleichzeitig ist der US-Konzern keine Bank, sondern eine Investmentgesellschaft. Damit erspart sich BlackRock strenge Regulierungen und die behördliche Aufsicht. „Schattenbanken“ werden solche Konstrukte genannt, BlackRock ist das mächtigste.
Und Laurence Douglas Fink, genannt „Larry“, schickt jedes Jahr Briefe an die Vorstandschefs jener Unternehmen, an denen BlackRock beteiligt ist. „Der Brief des Jahres 2022 stellte die transformative Kraft des Kapitalismus in den Mittelpunkt. Fink forderte die CEOs auf, den Stakeholder-Kapitalismus zu verfolgen und damit die Interessen von Mitarbeitern, Kunden und der Gemeinschaft stärker zu berücksichtigen. Dies sei keine politische Ideologie, denn nur so würden Unternehmen langfristig ihre Profitabilität sicherstellen können“, fasst es Wikipedia zusammen. Finks‘ Brief erhält wegen der Fülle an Beteiligungen mittlerweile immer mehr Einfluss am Kapitalmarkt. Es stellt sich also die Frage, ob seine Äußerungen insgesamt kursrelevant sind, weil BlackRock aufgrund seiner Marktmacht andere Teilnehmer stark beeinflusst. Was Fink macht, tun andere auch.
BlackRock als Wettbewerbsproblem
Am Beispiel UBS und Credit Suisse zeigt sich zudem ein wettbewerbsrechtliches Problem. Es sei „zunehmend üblich, dass dieselben Investoren Aktien verschiedener Unternehmen derselben Branche halten. Für diese ist Wettbewerb nicht so attraktiv“, sagte schon 2018 die EU-Kommissarin für Wettbewerb, Margreth Vestager. Auch die deutsche Monopolkommission äußerte sich ähnlich. „Horizontale Beteiligungen zwischen Unternehmen desselben Wirtschaftsbereiches über institutionelle Investoren ergibt ein wesentliches wettbewerbsverzerrendes Potenzial“, so der Fachsprech.
Im Klartext: Wenn Großinvestoren Aktienpakete von Unternehmen derselben Branche halten, werden sie versuchen, einen scharfen Wettbewerb zu verhindern, weil dies den Gewinnen, der Dividende und wohl auch dem Aktienkurs abträglich wäre.
Und abseits von Larry Finks‘ Empfehlungen an Unternehmen, die gesellschaftliche Verantwortung ernst zu nehmen, gilt BlackRock als Gott-sei-uns bei Gewerkschaften und Arbeitnehmer-Organisationen. BlackRock galt für etliche Großfusionen als Mastermind, etwa bei Linde/Praxair (Gase) oder Bayer/Monsanto (Chemie). Überall gab es heftige Kürzungen beim Beschäftigtenstand. Und bei UBS und Credit Suisse soll nun auch die Belegschaft um ein Drittel reduziert werden, insgesamt 11.000 Mitarbeiter.
Dass BlackRock trotzdem gut beleumundet ist liegt auch an den üppigen Lobby-Aktivitäten des Konzerns, sowohl in Washington als auch in Brüssel und den großen Börseplätzen der Welt.
Europa kann den USA finanziell nichts entgegensetzen
Das Hauptproblem für Europa dabei liegt an der Tatsache, dass die Kapitalmärkte immer noch national dominiert werden. BlackRock kann im Binnenmarkt USA so viel Geld einsammeln, dass Europa gar nicht mitkommt. Das europäische Schwergewicht in der Vermögensverwaltung, die Allianz-Versicherung, kommt auf ein Fünftel der Summe von BlackRock. Also macht sich das New Yorker Unternehmen daran, Europa finanziell zu kolonialisieren.
Derzeit plant BlackRock in der EU, betriebliche Pensionen mit ihren Produkten zu entwickeln, allerdings ohne Kapitalgarantie. Das ist in den USA gang und gäbe, in den meisten europäischen Staaten würde dies aber das Pensionssystem stark verändern. BlackRock setzt darauf, dass die demographische Entwicklung die Pensionssysteme finanziell überdehnt und nicht nachhaltig ist. Das ist grundsätzlich richtig, würde aber zu großen Schwankungen der Pensionszahlungen führen. Das ist in Europa unüblich und birgt politischen Sprengstoff. Dass Frankreichs Präsident Macron Larry Fink quasi wie einen Staatsgast empfing, mag Mitauslöser für die heftigen Proteste zur Pensionsreform gewesen sein.
Das Geschäft für BlackRock, das für seine Produkte Provisionen und Gebühren erhält, wäre jednfalls beträchtlich. Es geht hier um Billionen. Das Unternehmen verdiente 2022 knapp mehr als fünf Milliarden Dollar. Der Betrag ist im Vergleich zu anderen globalen Unternehmen gar nicht so hoch, dafür ist er eines: Sehr sicher.
Am Beispiel UBS/Credit Suisse zeigt sich das deutlich. Eine Pleite der Credit Suisse hätte auch BlackRock hart getroffen. Kostensenkungen und hohe Marktanteile werden wohl dazu führen, dass BlackRock mit UBS künftig besser verdienen wird.
Das Geschäftsmodell überzeugt auch die Aktionäre von BlackRock, deren Aktie hat in den vergangenen fünf Jahren 36 Prozent Wert gewonnen.
American Birds of a feather flock together
Die Großaktionäre von BlackRock sind übrigens auch Vermögensverwalter aus den USA. „Birds of a feather flock together“, heißt ein englisches Sprichwort und das gilt wohl auch hier. Denn der größte Einzelaktionär von BlackRock ist die ebenfalls in den USA beheimatete Vanguard Group. Vanguard ist – es wird niemand wundern – mit mehr als acht Milliarden Dollar „under management“ das nächste Schwergewicht in der Vermögensverwalter-Szene. Das gilt auch für den Branchenkollegen State Street. Da sie alle über Kreuz am jeweiligen anderen beteiligt sind und in einer Art Syndikatsvertrag verbunden sind ist es nicht vermessen zu sagen, dass sich die mächtigen US-Schattenbanken gegenseitig kontrollieren. Europäische Aktionäre spielen dabei keine Rolle.
Am Beispiel UBS/Credit Suisse zeigt sich, dass in der Öffentlichkeit über alles Mögliche diskutiert wird, nicht aber über die Rolle von BlackRock. Genau das will der US-Konzern. Breite Öffentlichkeit strebt er nicht an. Dafür aber wohl weiterhin steigenden Einfluss auf Europas Banken und Industrie. Bisher hat das toll funktioniert. Ob es Europas Selbständigkeit befördert, darf bezweifelt werden.