Wien Energie tauschte 2019 Energie Allianz gegen „Strombörse“
von Reinhard Göweil
Von der Kreditlinie des Bundes in Höhe von zwei Milliarden Euro sei noch kein Cent geflossen, vermeldet Wien Energie-Geschäftsführer Michael Strebl in der ZIB2 stolz. Stornieren wolle er dieses Fangnetz aber nicht, die den Strompreis setzenden Märkte seien zu volatil und unberechenbar. Dass er gleichzeitig anmerkte, diese Form des Stromhandels sei die „risikoärmste Variante“ ist ein mutiger Satz.
Denn bis 2019 verkaufte die Wien Energie wenig über die Leipziger „Strombörse“, sondern – wie Energie-Manager den FN bestätigten – ihren „Überschuss-Strom“ über die Energie Allianz. Diese Allianz ist ein Gemeinschaftsunternehmen von Wien, Niederösterreich und dem Burgenland. Wien Energie und EVN halten jeweils 45 Prozent, Energie Burgenland zehn Prozent. Laut Eigendefinition zählt die Energie Allianz zu den „führenden Handelshäusern in Österreich in der Schnittstelle von Erzeugung, Vertrieb und Großhandel.“
Der Charme dabei: Die drei in öffentlichem Besitz stehenden Versorgungsunternehmen sind untereinander kapitalmäßig verflochten und ihrerseits wesentlicher Aktionär der Verbundgesellschaft, dem größten Stromproduzenten des Landes. Direktverkäufe des Stroms an die Energie Allianz bzw. an die Verbundgesellschaft haben daher den unschätzbaren Vorteil, dass dabei keinerlei „Kautionen“ fällig werden, die Wien nun derart in Bedrängnis brachten. Niemand in Österreich würde wohl in Betracht ziehen, dass die EVN oder die Energie Burgenland, geschweige denn die Verbundgesellschaft weder zahlungs- noch abnahmefähig wären. Ein gemeinsames Handelshaus wäre zudem im europäischen Konzert lauter.
Warum hat also die Wien Energie diesen Vertriebsweg 2019 gegen den Leipziger Handelsplatz getauscht, auf dem auch Finanzunternehmen mehr oder weniger wilde Geschäfte machen? Nach einer mehr als zweitägigen Schrecksekunde übermittelte die Wien Energie den FN folgende Antwort:
„Wir sind permanent bemüht, die Prozesse zu verbessern und Synergiepotentiale zu heben. Das umfasst auch die Vermarktung von Strom aus Kraftwerken. Bitte um Verständnis, dass wir interne Strategien nicht öffentlich diskutieren.“
Nun, das ist mehr eine späte Reaktion denn eine Antwort und ob sich Stadtrechnungshof und Bundesrechnungshof damit zufrieden geben, darf bezweifelt werden. Auch unter sorgfältigsten journalistischen Kriterien nährt so eine Antwort Zweifel, ob die Nicht-Spekulation tatsächlich eine solche war bzw. ist.
Wenn die Wien Energie und deren indirekter Eigentümervertreter, der Wiener Finanz-Stadtrat Peter Hanke unablässig betonen, dass es um die Versorgung der Millionenstadt Wien geht und die gesichert ist, ist dies eine Sache. Die andere lautet: Zu welchem Preis? Dass die Wien Energie nach wie vor massiv an der Leipziger Strombörse handelt und nun einen „Kredit“ von ihrer Mutter, den Wiener Stadtwerken, über 600 Millionen Euro erhalten hat, lässt laut Investmentbanker einen Schluss zu: Eine vorzeitige Beendigung der Stromgeschäfte wäre nur mit hohen Verlusten machbar, weil der Strompreis nach wie vor hoch ist. Wenn dieser Preis zum Liefer-bzw. Abnahme-Zeitpunkt immer noch hoch ist, wird der Verlust später realisiert. Oder, was auch möglich ist: Die Gesellschaft erhält dann die „Kaution“ zurück, aber der Strompreis für die drei Millionen Kunden der Wien Energie wird deutlich höher. Was politisch zu Diskussionen führen dürfte.
Händler und involvierte Personen vermuten unter Zusicherung von Anonymität ebenfalls: Die Wien Energie ist 2019 aus dem Vertrag mit der mehr als befreundeten Energie Allianz ausgestiegen, weil sie erhoffte, über die „Strombörse“ ein besseres Geschäft zu machen. Was sich für den Eigentümer, die Stadt Wien, auszahlt, aber auch für die Stromkunden. Strom-Termingeschäfte über Leipzig bieten zusätzliche Möglichkeiten von Finanz-Instrumenten, ein fades Direktgeschäft mit der Energie Allianz nicht.
Statt erhoffter Zusatzgewinne müssen sich die Verantwortlichen in Wien nun 2022 mit Phrasen wie „ein Meteorit“, „ein Tsunami“, oder „verrückte Märkte“ behelfen, um nicht als Zocker am Strommarkt dazustehen. Dabei hätte schon ein Blick in den Geschäftsbericht der Wiener Stadtwerke genügt, der Mutter von Wien Energie: Dort wird im Ausblick für 2022 eindringlich gewarnt, dass es auf den Energiemärkten zu großen Verwerfungen kommen würde, da zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung der Krieg Russlands gegen die Ukraine bereits begonnen hatte.
EVN und Energie Burgenland vermarkten übrigens weiterhin über die Energie Allianz. An Expertise innerhalb der kleinen österreichischen Energie-Welt hätte ebenfalls kein Mangel geherrscht: Der frühere Verbund-Finanzchef Hannes Sereinig ist Aufsichtsratspräsident der Energie Burgenland, sein Stellvertreter dort ist EVN-Chef Stefan Szyszkowitz. Und im EVN-Aufsichtsrat sitzt der Aufsichtsratschef der Wien Energie, Peter Weinelt. Vielleicht ist also die aktuelle Situation rund um die Energiepreise ein neuer Anstoß über alle Länder- und Parteigrenzen hinweg, der gemeinsamen Tochter Energie Allianz ihrem Namen Ehre zu geben: Allianz.
PS.: Im Übrigen sei – wie schon mehrmals – hingewiesen, dass die Leipziger „Strombörse“ ein auf dem Algorithmus namens „Euphemia“ beruhender Marktplatz ist, dem es an Regeln und Transparenz fehlt. Aus diesem Grund wird die „Strombörse“ in den FN immer unter Anführungszeichen gesetzt. So ist die über diese „Börse“ gehandelte Menge zuletzt stark gesunken, der Großteil wird direkt verkauft. Zu welchen Preisen diese Strom-Direktgeschäfte abgewickelt werden, ist jeweiliges Geschäftsgeheimnis und muss mit dem „Börsepreis“ nichts zu tun haben.