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Erstellt am 02.02.2025

Von der Ukraine bis Grönland wird Europa eingekesselt

von Reinhard Göweil

Ackerfrüchte aus der Ukraine, Mineralien und seltene Erden aus Grönland. Die wertvollsten Rohstoffe liegen in Europa praktisch vor der Haustür, wie geschaffen für eine leistungsfähige Industrie der EU, die im Weltvergleich sozial und ökologisch produziert. Die Ukraine wurde von Putins Russland überfallen, Grönland wird nun von der US-Administration unter Donald Trump ins Visier genommen. Was Putin und Trump eint: Beide sprechen von territorialer Expansion, sprich die Einverleibung von Regionen, die nicht zum jeweiligen Staatsgebiet gehören.

Europa hat es bis heute nicht geschafft, mit solcher Aggression umzugehen. Das liegt zum einen daran, dass die EU selbst nicht expansiv ist, sondern Aufnahmeansuchen erhält und bearbeitet. Am Beispiel Balkan ist zu sehen, dass dies Jahrzehnte dauern kann, weil es recht strikte Teilnahmeregeln gibt. 2025 ist das unklug geworden.

Zum anderen ist die EU die kaufkräftigste Region der Welt, Handel ist also wichtig. Gleichzeitig gibt es kein anderes weltpolitisches Gebilde, in dem 27 Teilnehmerländer so ineffiziente Sicherheits- und Verteidigungs-Konzepte aufrechterhalten. Insgesamt geben die 27 EU-Länder plus Großbritannien doppelt so viel Geld für Rüstung aus als Russland. Trotzdem fürchten sich alle vor der russischen Militärmacht. Diesen Zustand nicht rasch zu ändern, ist im Jahr 2025 absurd.

Doch auch in Handelsfragen ist die EU – nun ja – verhalten. Mit Grönland gibt es seit November 2023 eine „strategische Partnerschaft für nachhaltige Rohstoffwertschöpfungsketten“. 25 der 34 kritischen Rohstoffe, die von der EU-Kommission als wesentlich für die europäische Industrie und den ökologischen Wandel  definiert worden waren, gibt es in Grönland. Mit Leben wurde die Vereinbarung, die auch Umwelt- und soziale Standards definiert, bis dato nicht erfüllt.

Die Ukraine hat seit Juni 2022 den Status eines EU-Beitrittskandidaten, nicht ohne klarzustellen, dass ein Beitritt erst nach Kriegsende möglich sei. Ein sinnloser Zusatz, denn der wäre auch ohne Krieg frühestens in den 2030er Jahren denkbar, und sollte der Angriffskrieg Russlands so lange dauern, wäre das mit Katastrophe noch nett umschrieben.

Europa wird aus diesen Gründen nicht ernst genommen in der neuen Weltordnung. Führende Militärs inner- und außerhalb der NATO warnten kürzlich vor einem Angriff Russlands gegen ein EU-Land ab etwa 2030. Die militärische Neu-Organisation Russlands, von der Verlegung der Kasernen bis zu den Infrastruktur- und Waffendepots ließen diesen Schluss zu. Unterirdische Ostseekabel, die EU-Länder verbinden, werden jetzt schon durchschnitten, immer sind russische Schiffe in der Nähe. Russland lässt Regimegegner in EU-Ländern töten und mischt sich unverhohlen in die europäische Politik ein, etwa durch die Unterstützung von extrem rechten Parteien und beträchtlichen Falschinformationen in sozialen Netzwerken.

Nun sitzt mit Donald Trump ein US-Präsident im Weißen Haus, der das Recht des Stärkeren ebenso über Verfassungs- und Völkerrecht stellt. Auch er nimmt Europa nicht ernst. Grönland? Her damit, können wir gut gebrauchen (wie Putin die industrielle Substanz der Ost-Ukraine). NATO-Verbündeter Dänemark? Wurscht. Marco Rubio, der jetzige US-Außenminister, hat schon 2021 als republikanischer Senator eine „Seltene Erden-OPEC“ unter amerikanischer Führung gefordert, die – wie das Ölkartell – von allen Wettbewerbsgesetzen ausgenommen werden müsse. Diese Rohstoffe, über die Grönland üppig verfügt, sind für Rüstung, Energiewende und Weltraumtechnologien unerlässlich.

China stahl aus Europa Technologien und baute damit selbst leistungsfähige Forschungs- und Industrie-Komplexe auf. Ihre Online-Händler überschwemmen Europa mit chinesischen Produkten, die keinen EU-Standards entsprechen und begehen dabei noch ganz unverschämt Zollbetrug.

Europa wird zurzeit von Aggressoren eingekesselt und findet keine Antwort darauf. Im Gegenteil. Die beiden größten Volkswirtschaften der EU, Deutschland und Frankreich, werden sturmreif geschossen. Beide Länder folgen diesem Zug der Lemminge mit instabilen Regierungen. Das Wirtschaftswachstum ist bescheiden, die Budgetdefizite das Gegenteil davon. Von einer „Führungsrolle“ der Achse Berlin-Paris ist in der EU nichts zu sehen. Das Vereinigte Königreich ist seit dem Brexit mit sich selbst beschäftigt. Die beitrittswillige Bevölkerung in Ländern an der östlichen und südöstlichen Peripherie der EU wird im Stich gelassen. Die Zivilgesellschaften in Georgien, Moldawien, Serbien verdienen jede Unterstützung seitens Europa, doch wo bleibt sie?

Europa fürchtet sich. Es preist in flammenden Reden Demokratie, Meinungsfreiheit und freien Handel, doch tut nichts dafür.

Russland, China und nun auch die USA nehmen Europa zu Recht nicht ernst. Anstatt zusammenzustehen feiern nationalistische Parteien Wahlerfolge, weil es die vielzitierte „Politik der Mitte“ nicht schafft, den Menschen klarzumachen was passiert, wenn es keinen Widerstand gibt. Dieser Widerstand wäre das Ende der europäischen Bequemlichkeit. Aber welches Europa wollen wir der Jugend hinterlassen? Als Melkkuh für Aggressoren zu fungieren gehört hoffentlich nicht zu diesen Konzepten. Europas Stärke in die geopolitische Waagschale zu werfen schon eher. Der oft strapazierte EU-Slogan „Soft Power“ bedeutet schon heute nur noch teilnahmsloser Zuschauer zu sein.

Um das zu ändern ist eine tiefe Strukturreform der EU notwendig, zu der die jetzige Organisation nicht in der Lage zu sein scheint. Es würde eine EU-weite Volksabstimmung über Kompetenzen für eine wirkliche europäische Regierung mit einem wirklichen Budget bedeuten. All dies kommt in der Verfassungs-Struktur nicht vor. Es braucht also Politiker wie die Gründerväter der EU, die möglich machen, was utopisch scheint. Und es braucht das Ur-Vertrauen, dass eine deutliche Mehrheit der Bewohner Europas auch für dieses Europa abstimmen wird. Auf einen nächsten Krieg zu warten, der alles zerstört, bedeutete das Ende für jenes Europa, das wir kennen, schätzen – auch lieben.

(Kommentar ergänzt am 3.2.2025 um 11.19 Uhr)